: „Das ist eine Erfolgsgeschichte“
Moderation BETTINA GAUS und SABINE AM ORDE
taz: Am heutigen Dienstag jährt sich das Anwerbeabkommen mit Italien zum fünfzigsten Mal. Es war der erste Vertrag, mit dem die Bundesrepublik so genannte Gastarbeiter angeworben hat. Fünfzig Jahre Einwanderung in die Bundesrepublik– ist das eine Erfolgs- oder eine Problemgeschichte?
Wolfgang Schäuble: Ganz überwiegend ist es ein Erfolg. Trotz aller aktuellen Probleme sind wir ein wirtschaftsstarkes Land, und das ist die Leistung der Menschen, die hier arbeiten. Darunter sind viele, die als Gastarbeiter gekommen sind. In den vergangenen 50 Jahren ist das Land bunter und weltoffener geworden. Natürlich gibt es auch Probleme. Aber ich halte nichts von einer Zuspitzung der Debatte. In meinem Heimatort im Schwarzwald beispielsweise gibt es einen hohen Anteil türkischer Mitbürger – und das Miteinander klappt hervorragend. Und das ist nicht nur im Schwarzwald so.
Kenan Kolat: Es ist ja schön, dass ein Innenminister mit den positiven Seiten anfängt. In der Regel ist es so, dass Migration als Problem diskutiert wird. Wenn es diese Migration nicht gegeben hätte, wäre meine Frau nicht Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus, Vural Öger wäre kein erfolgreicher Unternehmer, und Yildiray Bastürk würde nicht für Hertha spielen. Es gibt viele Erfolgsgeschichten, aber über die wird wenig geredet.
Es gibt aber auch viele Probleme. Jeder fünfte Nichtdeutsche ist derzeit arbeitslos, bei den türkischstämmigen Einwanderern ist es sogar jeder vierte. Arbeit ist extrem wichtig für Integration – kann sie ohne Arbeit überhaupt gelingen?
Schäuble: Sicher nicht so, wie wir es gerne hätten. Und da sind wir bei einem ganz großen Problem: den Defiziten in der Bildung und Ausbildung. Der Schlüssel dazu sind die Sprachkenntnisse, die bei Jugendlichen heute eben schlechter als früher sind. Hier müssen wir ansetzen.
Kolat: Mittlerweile gibt es hierzulande 65.000 türkischstämmige Unternehmer. Da gibt es große Potenziale für weitere Beschäftigung. In dieser Richtung könnte die Bundesregierung auch etwas tun. Es gibt elf Prozent Menschen nichtdeutscher Herkunft in diesem Land – und kaum einer schafft den Sprung in die öffentliche Verwaltung.
Schäuble: Das setzt eben gute Sprachkenntnisse und eine entsprechende Qualifikation voraus.
Kolat: Es gibt gut ausgebildete Türken. An den deutschen Universitäten studieren 35.000 türkischstämmige Migranten, die hier aufgewachsen sind. Damit man sich mit dem Staat identifizieren kann, braucht man Teilhabe. Und Vorbilder. Es wäre zum Beispiel schön, wenn Sie einen Abteilungsleiter türkischer Herkunft hätten, der für Sicherheit zuständig ist. Der Berliner Senat fordert Migranten auf, sich als Polizist oder Lehrer zu bewerben. Warum geht das beim Bund nicht?
Schäuble: Ich halte nichts von Quoten, aber ich bin absolut dafür, bei der Einstellung von Mitarbeitern nach der Befähigung und nicht nach Herkunft zu entscheiden.
Kolat: Wir sprechen doch noch gar nicht von Quoten. Sie könnten aber unter jede Ausschreibung setzen: Menschen mit Migrationshintergrund werden aufgefordert, sich zu bewerben. Das wäre ein Zeichen.
Schäuble: Aber es ist doch selbstverständlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund bei gleicher Qualifikation genauso berücksichtigt werden. Aber die gibt es eben oft nicht. Ein Problem ist doch, dass viele Mütter sich nicht besonders bemühen und von ihren Männern auch nicht gerade darin bestärkt werden, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren. Dann wird es natürlich auch mit den Kindern schwierig.
Wenn die Eltern ihre Kindern nicht ausreichend unterstützen, müssten dann nicht staatliche Institutionen wie Kindergärten oder Schulen eingreifen? Die Pisa-Studie hat Deutschland aber bescheinigt, dass das hiesige Bildungssystem ganz besonders schlecht bei der Förderung von Migrantenkindern ist. Herr Schäuble, hat hier der Staat versagt?
Schäuble: Man kann nicht bei jedem Problem sagen: Der Staat hat versagt. Man muss auch die Repräsentanten der türkischen Organisationen darauf aufmerksam machen, dass das eine ihrer ganz großen Aufgaben ist. Auch die Migranten müssen mehr Anstrengungen unternehmen.
Kolat: Unsere Organisationen machen viele Angebote. Und die Mütterkurse sind überfüllt, da gibt es eine zweijährige Wartezeit. Also kann niemand sagen, die Leute wollen kein Deutsch lernen. Aber wenn sie Deutsch lernen, reichen ihre Sprachkenntnisse nicht aus, um den Kindern in der Schule zu helfen. Das müssten in der Tat Kindergärten und Schulen tun. Außerdem verlassen auch deutsche Schüler die Schule ohne Abschluss, auch sie haben Sprachprobleme. Es handelt sich hier um ein soziales und nicht um ein ethnisches Problem.
Werden wir irgendwann französische Verhältnisse haben?
Kolat: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber es gibt viele Zurückweisungen und Verletzungen. Nach einer neuen Untersuchung des Bielefelder Wissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer finden 61 Prozent der deutschen Bevölkerung, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben. Aufgabe der Politik muss es sein, das zu ändern.
Schäuble: Natürlich haben wir eine politische und gesellschaftliche Verantwortung, dies zu verändern. Aber auch hier ist das Entscheidende: Wir brauchen eine bessere Situation am Arbeitsmarkt, auch um mehr Offenheit und Toleranz zu schaffen. Das ist das große Ziel der neuen Bundesregierung. Damit dies auch bei den Migranten gelingen kann, sind zwei Sachen wichtig: Wer auf Dauer in Deutschland lebt, muss Deutsch sprechen. Und wir sollten alles tun, um der Entwicklung von Parallelgesellschaften entgegenzutreten.
Kolat: Ja, aber dafür müssen sich auch die Deutschen öffnen.
Schäuble: Richtig, wir wollen keine nichtkommunizierenden Teilgesellschaften. Aber ich kann doch Eltern in Berlin nicht übel nehmen, wenn sie Bedenken haben, ihr Kind auf eine Schule zu schicken, in der 80 Prozent der Schüler nur schlecht Deutsch sprechen.
Kolat: Das stimmt, gilt aber auch für die türkische Mittelschicht. Die Schule müsste besser werden, damit sie allen Kindern eine Chance gibt und attraktiv bleibt. Aber noch etwas anderes: Herr Schäuble, als Bundesinnenminister sind Sie für Sicherheit zuständig. Ist der Bereich Integration bei Ihnen richtig? Ein Grundproblem ist doch, dass Migranten als Sicherheitsrisiko betrachtet werden. Deshalb begrüße ich auch, dass die neue Integrationsbeauftragte im Kanzleramt angesiedelt ist. Das hat noch nicht mal Rot-Grün geschafft.
Schäuble: Was heißt noch nicht mal? Wir sind besser als Rot-Grün. Außerdem dürfen Sie den Bundesminister des Innern nicht unter einem verkürzten Sicherheitsbegriff verstehen. Er ist für die innere Ordnung zuständig und damit auch für Integration.
Kolat: Dass Rot-Grün nicht mehr erreicht hat, hat auch mit Ihrer Partei zu tun – zum Beispiel mit Ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.
Schäuble: Die regelmäßige doppelte Staatsbürgerschaft wäre ein schwerer Fehler gewesen. Sie hätte die Integration aufseiten der deutschen Bevölkerung behindert. Es hätte immer geheißen: Richtige Deutsche sind es nicht, die haben noch eine andere Staatsangehörigkeit. Wichtig wäre, dass Ihre Organisationen auf ihre Mitglieder einwirken, dass sie sich bei der Staatsangehörigkeit nicht missbräuchlich verhalten.
Kolat: Es leuchtet mir einfach nicht ein, warum ein Franzose, der acht Jahre hier lebt, Deutscher werden kann, ohne die französische Staatsangehörigkeit abzugeben, und ein Türke, der dreißig Jahre hier lebt, nicht.
Schäuble: Man kann die Beziehungen innerhalb der Europäischen Union nicht mit denen zu anderen Ländern vergleichen.
Seit dem 11. September und auch dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh werden Migranten, besonders die Muslime unter ihnen, immer mehr als Bedrohung wahrgenommen. Sehen Sie darin eine gefährliche Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas?
Schäuble: Ich bin entschieden dagegen, das Thema Bedrohung durch den internationalen Terrorismus mit dem Thema Integration in eine Beziehung zu setzen. Unabhängig davon ist es eine Tatsache, dass vom Bereich des Islamismus die Hauptgefahr des internationalen Terrorismus ausgeht. Dagegen müssen wir uns wehren. Hier sehe ich auch eine wesentliche Aufgabe der islamischen Gemeinschaften. Bis heute habe ich nicht den Eindruck, dass die 1,2 Milliarden Muslime auf der Welt genug tun, um diese Bedrohung zu beseitigen.
Wir sprechen über die Muslime in Deutschland.
Kolat: Ich sehe diese Verschiebung. Es gibt viel mehr Verdächtigungen. Frauen, die ein Kopftuch tragen, werden oft automatisch mit Islamismus in Verbindung gebracht. Wenn man über Islam redet, geht es gleich um Terrorismus.
Herr Schäuble, Sie haben sich in der vergangenen Woche dafür ausgesprochen, das Strafrecht so zu verändern, dass bereits der Verdacht der Verwicklung in terroristische Aktivitäten geahndet werden und zu einer schnellen Abschiebung führen kann. Stellen Sie damit die Muslime nicht unter Generalverdacht?
Schäuble: Diese Unterstellung weise ich schärfstens zurück. Ich will die Gefahren, die für uns alle die gleichen sind – für Deutsche und ausländische Mitbürger – abwehren. Und dazu muss ich die Gefahren ernst nehmen, ohne die Prinzipien unseres freiheitlichen Rechtsstaates aufzugeben. Deshalb will ich lieber darüber nachdenken, die Strafdrohung zu erweitern, als Menschen auf Verdacht in Haft zu nehmen.
Kolat: Die Regelung im Ausländerrecht, jemanden aufgrund eines Verdachts abzuschieben, halte ich für sehr problematisch. Wenn jemand straffällig wird, soll man ihn einsperren. Und zwar hier.