: Der Tiger beißt nicht
MITTELMASS I Dem HSV misslingt beim 0:1 gegen den SC Freiburg die Wiedergutmachung für die Klatsche in München. Überraschend ist das nicht, verfolgt man in Hamburg doch ein merkwürdiges Saisonziel
HSV-MANAGER FRANK ARNESEN
AUS HAMBURG JAN KAHLCKE
Klaus Toppmöller war einer der vielen mäßig erfolgreichen Trainer beim Hamburger Sportverein. Um seine analytischen Qualitäten seinen Ex-Club betreffend ist es bis heute nicht zum Besten bestellt. Vor dem Spiel des HSV geben den SC Freiburg sagte er: „Der HSV wird Freiburg überrennen.“ Um zu verstehen, warum er das sagt, muss man sich an die Vorwoche erinnern. Da war der HSV beim FC Bayern mit 2:9 unter die Räder gekommen. Es gab also etwas gutzumachen.
Wie Toppmöller hatte der Freiburger Trainer Christian Streich eine HSV-Mannschaft erwartet, die um Rehabilitation bemüht sein würde. Der HSV sei wie „ein angeschossener Tiger“ und werde „mit riesiger Laufbereitschaft“ spielen, warnte er. Nur gehört Laufbereitschaft eben auch zu den zentralen Tugenden der Freiburger. Und so entwickelte sich ein sehr ausgeglichenes Spiel.
Wie ein angeschossener Tiger agierte dabei eigentlich nur einer, der zumindest aus einem Tigerstaat stammt: der Koreaner Heung Min Son. Er wühlte und rackerte und als einer seiner Angriffe wegen Stürmerfouls abgepfiffen wurde, knallte er den Ball auf den Rasen wie ein trotziges Kind. Dann ließ er einen koreanischen Fluch folgen, dessen schiere Lautstärke ihm eine gelbe Karte eintrug. Dieser Son ließ fast die Hälfte aller Schüsse auf das Freiburger Tor los – vergebens. Manager Frank Arnesen meinte: „Mit ein bisschen Glück macht Son sein Tor bei 0:0, dann läuft das hier anders.“ Mit noch ein bisschen mehr Glück, hätte er sagen müssen, denn er hatte vergessen, dass Freiburg schon in der siebten Minute zweimal Aluminium getroffen hatte.
Und dann hatte der Freiburger Max Kruse die glänzende Idee, den Ball nach außen zu spielen, von wo Mensur Mujdza ihn wieder nach innen auf den Kopf von Jonathan Schmid brachte – 0:1. Die Freiburger Fans wussten, wem sie zu danken hatten: „St. Pauli“ riefen sie, den Namen des Clubs, von dem Kruse zu Saisonbeginn in den Breisgau gewechselt war. Und zufällig die größtmögliche Provokation im Stadion des HSV.
Dessen Anhänger waren ohnehin bedient, ließen jetzt die Pfiffe raus, die sie sich bei Spielbeginn mühsam verkniffen hatten. Hat der HSV nun den „Charaktertest“ nicht bestanden, zu dem mancher die Partie nach dem Debakel von München stilisieren wollte? Sind die Hamburger mit nur einem Punkt aus den letzten drei Heimspielen gegen Teams mit bescheidenen Etats in eine Krise gerutscht? Nein, eher in der Normalität angekommen.
Eine Klatsche gegen die Übermannschaft vom FC Bayern hätte wohl jedem Team passieren können. Und gegen Streichs SC Freiburg kann man durchaus verlieren. „Die stehen zu Recht auf Platz fünf“, sagte HSV-Trainer Thorsten Fink. Und die Heimniederlage vor zwei Wochen gegen den FC Augsburg habe es immerhin gegen das bis dahin drittbeste Rückrundenteam gegeben. Dennoch sei das Saisonziel noch zu erreichen, ein „einstelliger Tabellenplatz“.
Stimmt. Das ist das offizielle Saisonziel. Aber es ist auch ein merkwürdiges. Eines, für das man sich nichts kaufen kann. Und das bedeutet für einen hoch verschuldeten Club wie den HSV, dass er etwas wird verkaufen müssen. Nach dem Spiel gegen den unmittelbaren Konkurrenten Freiburg scheint einmal mehr nur jener Heung Min Son gewinnbringend veräußerbar, auf dem die einzigen Hoffnungen ruhten, das Spiel gewinnen zu können. Das ist das Dilemma, in dem sich der HSV befindet, und das man eher einen deprimierenden Dauerzustand als eine Krise nennen muss.