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Archiv-Artikel

die schrecken der wohnungssuche von EUGEN EGNER

Es musste dringend eine neue Wohnung gefunden werden. Meine Frau konnte sich nicht darum kümmern, weil sie den ganzen Tag arbeiten ging, abends bügelte sie sogar noch Ersatzfelle für den Hund. Somit blieb die Wohnungssuche an mir hängen, der ich von früh bis spät damit beschäftigt war, mein altes Gesicht in den kalten, da schlecht durchbluteten Händen zu bergen. Für die müden Augen war dieser leichte, ausgesprochen kühle Druck stets eine Wohltat. Dass ich obendrein noch die Wäsche, die Einkäufe, den Abwasch und nun sogar die Wohnungssuche erledigen musste, trieb mich umso tiefer hinter meine immer eisiger werdenden Hände.

Schließlich kam es dann aber doch dazu, dass ich eine Wohnung besichtigte. Drei ältere Männer redeten mir zu, sie sofort zu mieten (die Wohnung, nicht die Männer). Das Gespräch fand auf einer breiten und sehr tiefen Sitzgelegenheit statt, auf der alle bequem Platz hatten. Zwischen den Männern und mir befand sich, mal kauernd, mal liegend, mal sitzend, eine Stoffpuppe, annähernd lebensgroß und einen blassen Mann mittleren Alters mit schwarzem Bart vorstellend. Sie war in ein Kapuzengewand gehüllt, sodass nur das stilisierte Gesicht herausschaute. Hin und wieder kippte sie nach links oder rechts um. Soweit ich verstand, war der Vormieter, den sie verkörperte, unheilbar krank und lag im Hospital. Seine Wiederkehr wurde nicht mehr erwartet.

Ich kannte bis jetzt nur den Raum, in dem wir uns aufhielten. Niemand machte Anstalten, mir den Rest zu zeigen. Die drei älteren Herren rückten immer weiter von mir ab, bis sie am anderen Ende der Liege saßen. Sie schienen Abschied von der Vormieter-Stoffpuppe zu nehmen, aber eigentlich sah es eher so aus, als schlügen sie auf sie ein.

„Was tun Sie da?“, rief ich. „Diese Stoffpuppe sollen doch meine Frau und ich bekommen!“ Sie lachten nur und fingen an, die Puppe aufzublasen. Immer neue Stöße Luft drangen in die Puppe ein. Einer von ihnen erklärte mir nebenher ganz kühl: „Sie sieht so flach und stilisiert aus, da wollen wir ihr jetzt lebensechte Züge einhauchen.“

„Das tut man nicht!“, protestierte ich. „Nicht, wenn der arme Vormieter sterbenskrank im Hospital liegt und nie wiederkommt!“ Statt natürliche Körperformen auszuformen, etwa eine richtige Nase, wurde das verpuppte Gebilde jedoch immer ballonartiger und riesiger. Alarm im Weltall!

„Aufhören! Die Luft raus! Sofort!“, verlangte ich, aber sie kümmerten sich nicht darum. Das enorm aufgetriebene Ding mit dem schwarzen Bart und dem schier endlos dehnbaren Kapuzengewand war drauf und dran, den ganzen Raum zu füllen. Ich bekam große Angst davor, es könne im nächsten Augenblick mit einem gesundheitsschädigenden Knall platzen, und floh aus der Wohnung. Weil meine Frau inzwischen unseren Mietvertrag fristlos gekündigt hatte, erzählte ich ihr lieber nichts von meinem Misserfolg.

Als ich das nächste Mal zwischen meinen Fingern hindurchsah, war sie soeben damit beschäftigt, für die Menschen, die unsere alte Wohnung übernehmen würden, traditionelle Vormieter-Stoffpuppen von uns anzufertigen. Der Puppe nähte sie die Hände vors Gesicht.