Black Box Bagdad

Zerstörung und Diaspora: Die Ausstellung „The Iraqi Equation“ in den Berliner Kunst-Werken sucht den Zugang zum Kulturleben des Irak

Viel scheint nicht übrig geblieben vom Kulturleben eines Landes, das sich einst stolz als „Wiege der Zivilisation“ verstand

VON DANIEL BAX

Der Zeitpunkt schien symbolisch gewählt. Am Tag, an dem in Bagdad ein neues Parlament gewählt wurde, luden die Kunst-Werke in Berlin zur Präsentation ihrer Ausstellung „The Iraqi Equation“. Während im Irak über die Zukunft des Landes entschieden wurde, geht es in Berlin darum, eine Bilanz der Gegenwart zu ziehen: Zum Stand der irakischen Kultur nach dreißig Jahren Diktatur, mehr als einer Dekade unter Embargo und einer nun auch schon zwei Jahre währenden US-Besatzung, wie die ehemalige Documenta-Leiterin Catherine David hervor hob. Als Kuratorin der Ausstellung sei es ihr darum gegangen, die bekannten Nachrichtenbilder, die uns seit dem Golfkrieg aus dem Irak erreichen, zu konterkarieren.

Für eine Ausstellung, die den medial vermittelten Bildern einen ganz anderen Blick entgegensetzen will, sind im Erdgeschoss der Galerie allerdings ganz schön viele Monitore aufgebaut. Gleich am Eingang trifft der Besucher auf ein paar Fernsehgeräte, auf denen das aktuelle Programm arabischer Satellitenkanäle zu sehen ist: ein Potpourri aus Nachrichten, Reality-Shows, Werbespots und arabischen Musikclips, wie es allabendlich in Bagdad über die Bildschirme flimmert, schließlich wurde das Land nach dem Einmarsch der US-Truppen abrupt ins Satellitenzeitalter gestoßen. Ein paar Schritte weiter huschen alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Fotografen Latif El Ani über eine Seitenwand. Man sieht moderne Stadtansichten, Brücken, Plätze und funktionale Industriebauten, ein Land im Aufschwung – Ansichten aus dem Irak der Sechzigerjahre, als der Traum einer arabischen Moderne durch den Ölboom in greifbarer Nähe gerückt zu sein schien.

Wer unter „The Iraqi Equation“ eine reine Kunstausstellung erwartet, dürfte sich verwundert die Augen reiben. Das Ganze gleicht vielmehr einer Multimedia-Installation und versteht sich als „Plattform“, um unterschiedliche Diskurse und Sichtweisen zu bündeln. So sind letztlich nur wenige Werke irakischer Künstler zu sehen. Am auffälligsten ist die Reproduktion eines riesigen Wandgemäldes, die sich über eine gesamte Seite des Raums erstreckt. Im Stil eines Otto Dix zeigt es eine Szene aus einem „Kaffeehaus in Bagdad“, so der Titel, mit Wasserpfeifen, Schuhputzern und Teejungen sowie Repräsentanten der Bourgeoisie und des Militärs. Das Werk stammt von dem Maler Faisel Laibi Sahi und entstand 1984 in London; das Original hängt bei einem Privatsammler in Abu Dhabi. An einer anderen Wand sind vergrößerte Auszüge des Online-Tagebuchs Daftar (Deutsch: „Heft“) angebracht, das der irakische Künstler Nedim Kufi aus Essays, übersetzten Artikeln und grafischen Abbildungen gestaltet hat.

Die meisten irakischen Künstler lernt man jedoch nicht über ihre Werke kennen, sondern über die filmischen Porträts der jordanischen Filmemacherin Sawsan Darwaza. Für ihre Reihe „An Artist With A View“ hat sie einen Theaterdirektor, eine Kostüm- und Schmuckdesignerin, einen Architekten oder einen Dichter aus dem Irak interviewt; diese Filme werden auf weiteren, lose im Raum verteilten TV-Monitoren gezeigt.

Große Holzboxen sind im Zentrum des Ausstellungsraums aufgebaut, die als Vorführkabinen dienen. In Box Nummer eins laufen vier Video-Dokumentationen, die allesamt von Rückkehrern aus dem Exil gedreht wurden. Nun sind sie wieder daheim, nach Jahrzehnten der Abwesenheit, und haben mit der Handkamera ihre Eindrücke und ersten Begegnungen mit einem zerstörten Land und seinen Menschen aufgezeichnet: schockierende Szenen, wenn etwa ein Opfer von den brutalen Foltermethoden des Saddam-Regimes erzählt. Um so utopischer muten da die Visionen von einem freien und demokratischen Irak an, wie sie drei Wochen vor der US-Einmarsch auf dem ersten Treffen der irakischen Oppositionsgruppen in London ventiliert wurden. Kommunisten, Kurdenvertreter und schiitische Kleriker vertrauten der Filmemacherin Hana al-Bayati damals ihre Zukunftswünsche an. „On Democracy in Iraq“ heißt der Film, der in der dritten Holzbox läuft.

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf solchen Filmdokumentationen, es dominiert der journalistische Ansatz. Man könnte fast sagen, dass es sich bei „The Iraqi Equation“ im Grunde um ein Dokumentarfilm-Festival in anderer Form handelt. Entsprechend viel Zeit sollte man mitbringen: Wer alle Filme sehen möchte, bräuchte dafür rund 14 Stunden.

Einige Namen kennt man aber auch schon. Im Untergeschoss der Ausstellung läuft „Under Exposure“ von Oday Rasheed, der erste Spielfilm, der nach dem Sturz des Saddam-Regimes im Irak entstand und schon in hiesigen Kinos lief. Und auch von Salam Pax, dem berühmten Web-Blogger aus Bagdad, der während des Kriegs durch seine Internet-Tagebücher bekannt wurde, gibt es etwas zu sehen. Seit Ende des Krieges hat er für die BBC ein paar Videotagebücher produziert, die seinen Blick auf den Alltag im heutigen Irak zeigen.

Was bleibt also unterm Strich von der „irakischen Gleichung“? Viel scheint nicht übrig geblieben vom Kulturleben eines Landes, das sich einst stolz als „Wiege der Zivilisation“ verstand. Das meiste hat im Exil überlebt: Das schmale Bücherregal mit Literatur aus und über den Irak spricht da Bände. Catherine David hat aus dieser Not eine Tugend gemacht und ein aussagekräftiges Puzzle zusammengetragen: Kein völlig neues Bild des Irak, aber eine Erweiterung und Vertiefung des bestehenden.

Bis 26. Februar