Neonazis in, Neonazi-Forscher out

Klaus Farin ist ein angesehener Wissenschaftler. Aber jetzt hat er eine Studie vorgestellt, derzufolge die rechte Szene unter Ost-Jugendlichen nicht mehr angesagt ist. Andere Forscher zerpflücken die Ergebnisse. Ebenso wie Kollegen aus seinem Institut

VON DANIEL SCHULZ

Endlich einmal eine gute Nachricht. „Rechte Szene auch im Osten out“, preist das angesehene Berliner Archiv der Jugendkulturen seine neue Studie. Danach sympathisieren nur drei Prozent der befragten Jugendlichen mit der rechten Szene. Fazit der Studie: „Die Rechten stehen auf der Anti-Beliebtheits-Skala unter ostdeutschen Jugendlichen ganz oben.“ Doch Fachleute sagen: ausgemachter Blödsinn.

Ihr Tenor: Das Archiv um den Leiter Klaus Farin mache hervorragende Arbeit, wenn es beispielsweise um das Selbstbild von Jugendkulturen gehe. Bei dieser Studie liege Farin allerdings inhaltlich und methodisch daneben. „Er hat unser Wissen stark erweitert“, sagt der Politologe Henning Flad, der zu rechtsextremer Jugendkultur forscht, „doch Aussagen über den Anteil von Rechtsextremen an der Bevölkerung kann man so nicht treffen.“

Farin und seine Mitarbeiter hatten in Schulen Bögen verteilt, auf denen sie fragten, welche Musik die Jugendlichen mögen und mit welcher Szene sie sympathisieren. Der Sozialforscher Dieter Rucht beanstandet dies, weil eine Befragung an Schulen während eines Anti-Rechts-Projektes „sozial erwünschte Meinungen fördern kann“. Flad und andere wie der Neonazi-Fachmann David Begrich aus Halle halten die Fragen für naiv.

Die Kritiker begründen ihre Haltung so: Jugendliche identifizierten die Begriffe rechts und links meist nicht präzise mit politischen Inhalten. Für sie sei rechts oft gleichzusetzen mit Merkmalen wie „Glatze tragen“ oder „saufen“, links mit „keine Glatze“ oder „kiffen“. Sie könnten sich also beispielsweise von der Glatze distanzieren, aber trotzdem der Ansicht sein, dass Ausänder in Deutschland nicht leben dürfen. Um dies zu erfahren, hätte man auch nach Einstellungen zu Themen wie Judenhass fragen müssen. „Laut dieser Studie kann sich ein Neonazi HipHop-Hosen anziehen und ist dann nicht mehr rechts“, sagt Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin.

Klaus Farin reagiert verwundert. Er wolle gar nicht sagen, dass es die rechte Szene nicht mehr gebe. „Es ging mir um die Sympathiewerte, und die sinken.“ Früher sei ein Neonazi in Mecklenburg noch Klassenking gewesen, heute sei er der Depp.

Selbst das lassen die Kritiker nicht gelten, denn die Studie sei nicht repräsentativ. „Die regionalen Unterschiede sind nicht gewichtet worden“, sagt David Begrich, „doch auf dem Land ist der Anteil der Neonazis höher, sicher auch die Sympathie für sie.“ Damit könne die Studie nur Gültigkeit für die 1.000 Befragten beanspruchen. In der Studie hieß es dazu noch, „regional unterschiedliche Lebensbedingungen“ wirkten sich „jugendkulturell nicht mehr aus“. Im Gespräch sagt Farin dagegen, es sei natürlich richtig, dass „es regionale Unterschiede gibt“. Doch „wissenschaftliche Repräsentativität“ habe man sich nicht leisten können, dazu hätten viel mehr Leute befragt werden müssen. Seine Studie spiegele allerdings seine Erfahrungen wider.

Das sehen inzwischen auch Mitarbeiter seines Projektes anders. Silke Baer und Peer Wiechmann distanzieren sich in einer Stellungnahme von Farin: Die Ergebnisse ließen „keine Rückschlüsse über nachhaltige Einstellungsverschiebungen der Jugendlichen im Osten im Allgemeinen zu“. Ihr vernichtendes Urteil: „Die Grundaussage, die rechte Szene hätte inzwischen einen nunmehr abnehmenden Rückhalt unter den Jugendlichen, ist unseren aktuellen Erfahrungen nach unrichtig.“

Farin will die Studie nächstes Jahr wiederholen, dann mit regionalen Unterschieden und größerer Fallzahl – „wenn wir das Geld dazu haben“.