Autos wird Vorfahrt eingebaut

Mehr Geld für neue Straßen, weniger für die Bahn – Nordrhein-Westfalens CDU-Verkehrsminister Wittke will die Verkehrswende: „Einen prinzipiellen Vorrang für die Schiene wird es nicht geben“

AUS DÜSSELDORFANDREAS WYPUTTA

Noch mehr Autos statt Bahnen: Nordrhein-Westfalens Landesverkehrsminister Oliver Wittke (CDU) hat gestern eine grundlegende Wende in der Bahnpolitik angekündigt. „Wir werden keine Vorrangpolitik für die Schiene mehr machen“, so Wittke. „Einen prinzipiellen Vorrang für die Schiene wird es nicht geben.“

Stattdessen setzt der Verkehrsminister auf neue Straßen: In den kommenden zehn Jahren soll über eine Milliarde Euro in Neubauprojekte fließen. So stehen im laufenden Jahr 128 Millionen Euro für Straßenneubauten bereit – im kommenden Jahr sollen es bereits 134 Millionen Euro sein. Stark benachteiligt wird dagegen die Bahn: In neue Schienenstrecken will Wittke bis 2015 nur 600 Millionen Euro investieren, plant damit Kürzungen von rund 80 Prozent. Die rot-grüne Vorgängerregierung hatte dagegen 2003 über 400 Millionen, in 2004 noch immer 334 Millionen Euro in den Ausbau der Schiene gesteckt.

Die Bahn sei im Vergleich zur Straße ein „sehr teures Verkehrsmittel“, sagte Wittke zur Begründung. In Zeiten knapper Kassen müssten die noch zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel möglichst effizient verwandt werden. Dazu habe sein Ministerium einen „Nutzen-Kosten-Quotienten“ ermittelt – und dabei schneide der schienengebundene Verkehr immer schlecht ab. Entscheidendes Kriterium des Quotienten sei der Zeitvorteil, erläuterte Wittke: „Wir haben uns gefragt, mit welcher Baumaßnahme wie viele Verkehrsteilnehmer wie viel schneller an ihr Ziel kommen.“

Darüber hinaus seien aber 17 weitere Faktoren in die Bewertung eingeflossen, darunter auch Aspekte des Umweltschutzes und des Energieverbrauchs. Mit dem „Nutzen-Kosten-Quotienten“ läge nun erstmals ein „objektives Kriterium“ zur Bewertung von Verkehrsprojekten vor, freute sich der Minister: „Früher gab es eine gewisse Teppichhändlermentalität.“ Jetzt aber werde nicht mehr um Straßen und Schienen gefeilscht. „Wir betreiben realistische Politik, setzen nicht auf Ideologie.“

Wittke selbst sei keinesfalls objektiv, hält die Opposition dagegen: Der Minister unterschlage schlicht, dass Neubaustrecken noch mehr Autos auf die Straße bringen. „Auf Wittkes neuen Straßen herrscht bald Stillstand“, sagt Oliver Keymis, Verkehrsexperte der grünen Landtagsfraktion. „Ich hätte den Verkehrsminister für intelligenter gehalten.“ Eine moderne Dienstleistungsgesellschaft brauche die Bahn – schließlich stünden die von Wittke bevorzugten Busse „doch auch im Stau.“

Kritik kommt auch von den Sozialdemokraten. „Verbesserungen im Schienenverkehr rücken in weite Ferne“, klagt Ex-Verkehrsminister Axel Hostmann. Selbst absehbare Subventionskürzungen des Bundes im Bahn-Nahverkehr nehme sein Nachfolger klaglos hin: „Aus Wittkes Sturmlauf nach Berlin ist ein Kriechgang geworden.“