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Archiv-Artikel

Mit Hund und Kräutergarten

Sie lieben ihn: Trotz Arbeits- und Obdachlosigkeit setzt die schwarze Bevölkerung von Baltimore ungebrochen auf ihren Präsidenten

„Liebe“ ist das erste Wort, das dem Eventmanager Juan Christian einfällt, wenn er über Obama spricht

AUS BALTIMORE DOROTHEA HAHN

„Ich werde euch brauchen“, hat Barack Obama in die Menge gerufen. Trotz des eiskalten Windes drängten sich 40.000 Menschen zu seinen Füßen auf dem Platz vor dem Rathaus. Ganze Familien waren gekommen, mit Kindern und Großeltern. Über manche Gesichter kullerten Tränen. „Endlich Obama“, hatte die Lokalzeitung Baltimore Sun getitelt. Die Hafenstadt war der letzte Zwischenhalt des neu gewählten Präsidenten auf seinem Weg mit der Eisenbahn nach Washington DC und ins Weiße Haus. Es war ein Dankschön. Baltimore hatte mit 87 Prozent für Obama gestimmt.

Ein Jahr danach streicht der gleiche eisige Wind durch die Hochhausschluchten der Innenstadt. Der Hafen, aus dem früher Mehl und Tabak aus dem Hinterland in alle Welt gingen, hat keine Aufträge mehr. In den heruntergekommenen Vorstädten stehen ganze Häuserblocks aus rotem Backstein leer. Die Fenster sind zugemauert. An den Türen hängen Vorhängeschlösser. Weder die Arbeitslosigkeit noch die Obdachlosigkeit sind gesunken. Aus der erwarteten neuen Autofabrik ist nichts geworden. Und die demokratische Bürgermeisterin, Shirley Dixon, muss im Februar ihr Amt abgeben, nachdem ein Gericht sie für schuldig befand, Geschenkgutscheine für bedürftige Kinder für persönliche Zwecke missbraucht zu haben.

Aber in Baltimore klingt der Name Obama weiterhin verheißungsvoll. In weiten Teilen der USA ist die Popularität des Präsidenten am Ende seines ersten Amtsjahrs auf rund 50 Prozent gesunken. Seine Gesundheitsreform geht den einen nicht weit genug und ist für die anderen bereits eine Kapitulation vor dem sozialistischen Teufel. Seine Truppenaufstockung in Afghanistan verstehen vor allem Liberale als Verrat. Und in Washington DC gehen vereinzelt sogar Spitzen-Demokraten auf Abstand. Aber in der eine Autostunde nordöstlich von der US-Hauptstadt gelegenen Hafenstadt ist der Präsident weiterhin ein Hoffnungsträger.

„Obama?“, sagt die alte Dame und ein Lächeln erhellt ihr Gesicht: „Ich liebe ihn. Er ist das Beste, was Amerika je passiert ist.“ Sie ist 82. Als sie in Virginia zur Schule ging, mussten ihre Eltern jede Woche 50 Cent für den Schulbus bezahlen. Die weißen Kinder wurden gratis abgeholt. Sieben Jahrzehnte danach sagt Marian Scarborough zu ihren Nachfahren: „Strengt euch in der Schule an, dann könnt ihr auch eines Tages Präsident werden.“

„Liebe“ ist auch das erste Wort, das dem 40 Jahre jüngeren Eventmanager Juan Christian einfällt, wenn er über Obama spricht: „Liebe und Dankbarkeit“. Dazu trägt bei, dass Obama ein neues Vorbild für Afroamerikaner ist: „Er ist intelligent und vielrassig“, sagt Juan Christian. Letzteres bedeutet, dass der Präsident in seiner eigenen Person die Grenzen zwischen Weiß und Schwarz überschreitet, die Baltimore seit Menschengedenken geprägt haben.

Körbe voller Dollars

Die alte Dame und der Eventmanager haben den Sonntagvormittag im Methodistentempel Bethel verbracht. Während der Gospelchor sang, haben die Gemeindemitglieder Wäschekörbe mit Dollarnoten und Schecks gesammelt. Spenden für ihren Tempel. Und für Haiti.

Bethel ist die größte Gemeinde von Baltimore und zugleich die politisch bestvernetzte: Beide Bürgermeisterinnen – sowohl die scheidende als auch ihre Nachfolgerin – gehören dazu. Die Gemeinde ist schwarz. Aber wegen des Martin-Luther-King-Gedächtnistages sind an diesem Sonntag auch Weiße im Tempel, eine Abordnung aus der benachbarten Synagoge, mit der Bethel zusammenarbeitet, seit es vor Jahren ethnische Spannungen in Baltimore gab. Der Rabbi und der methodistische Reverend, die ihre Zusammenarbeit vor acht Jahren als Mittel gegen ethnische Spannungen begonnen haben, sagen sich gegenseitig Nettigkeiten. Dann flackern Bilder der Obama-Familie über den Großbildschirm neben dem Altar. Durch die voll besetzte Kirche plätschert artiger Beifall.

Bethel-Reverend Dr. Frank M. Reid III trägt Hosenträger mit aufgedruckten Geldscheinen. In seinem Büro hängt ein gerahmter „Doctor of Divinity“ mit seinem Namen. Sowie Fotos von dem Boxer Mohamed Ali und von den beiden schwarzen US-Athleten Tommie Smith und John Carlos, die 1968 bei den Olympischen Spielen mit erhobener und schwarzbehandschuhter Faust auf dem Siegerpodest in Mexiko-Stadt den Black-Panther-Gruß zeigten. Ein Schwarz-Weiß-Bild der Obama-Familie hat es nur bis in den Vorraum gebracht. „Wir sind immer noch stolz auf Obama“, sagt der Reverend, „aber zugleich geht es vielen in meiner Gemeinde nicht schnell genug. Sie spüren die tiefen Einschnitte in den Haushalt der Stadt. Sie haben Angst, ihre Arbeit und ihre Häuser zu verlieren. Und längst nicht alle werden in den Genuss der Krankenversicherung kommen.“

In den Straßen rund um den Methodistentempel lebten im 19. Jahrhundert Weiße. Im 20. Jahrhundert zogen Schwarze ein. Jetzt kehrt sich der Prozess erneut um. Weiße Mittelschichtler kaufen die Häuser und renovieren sie. Die schwarzen Bewohner ziehen in die Vorstadt. Um nah an ihren Gläubigen zu bleiben, plant der Revernd, einen neuen Tempel in der Vorstadt zu bauen.

Reid III sorgt sich um die Sicherheit des Präsidenten: Wegen der Hassgraffiti. Und wegen der verbalen Aggressivität im Kongress. „Weder im Bürgerkrieg noch im Vietnamkrieg noch bei der Bürgerrechtsbewegung ist je ein amerikanischer Präsident im Kongress als Lügner bezeichnet worden“, beklagt er.

An der Spitze des vor fünf Jahren eröffneten Museums für Afro-Amerikanische Geschichte in Baltimore steht Leslie King-Hammond, eine glühende Obama-Verehrerin. Dass er das Land binnen weniger Monate „aus der Scheiße holt“ hatte die Intellektuelle aus New York nicht erwartet. Sie ist dankbar dafür, dass „endlich wieder eine richtige Familie im White House ist: mit Hund und mit einem Kräutergarten“. Nach dem Vorbild der First Lady hat auch Leslie King-Hammond einen Kräutergarten angelegt. Und sie schätzt, dass es mit einem Präsidenten Obama endlich zu der „Konversation über Rassen“ kommt. Denn die US-Gesellschaft, so die Analyse von Leslie King-Hammond, steckt in einer Struktur von Sklave und Herr: „Niemand weiß, wie wir darüber reden sollen. Die Schwarzen befürchten Missbrauch. Die Weißen fühlen sich schuldig.“

Baltimore ist eine zu zwei Dritteln schwarze Stadt. Osten und Westen sind schwarz. Die seit den 80er Jahren runderneuerte Innenstadt hingegen, wo das neue Aquarium, die großen Hotels und die Bürohäuser wie in Legoland aufgestellt sind, ist eher weiß. Der Hafen ist längst nicht mehr das wichtigste ökonomische Zentrum der Staat. Hightech-Unternehmen und Forschungszentren nehmen jetzt diesen Platz ein. In den Büros sieht es anders aus als im Rest der Stadt. In der Redaktion der Lokalzeitung Baltimore Sun arbeitet nur eine Handvoll schwarzer Journalisten und in der Johns-Hopkins-Universität, einer der besten privaten Universitäten der USA, sind gerade mal 7 Prozent der 4.400 Studenten schwarz.

Unterstützung an der Uni

Auch an der Universität, wo die Studiengebühren 35.000 Dollar betragen, hat Obama aktive Unterstützer. Daniel Barash ist einer von ihnen. Vor einem Jahr hat er mit anderen jungen Demokraten Wahlkampf gemacht. Und bis heute beteiligt er sich an Telefonaktionen bei Wählern in anderen US-Bundesstaaten. Dazu gibt die Partei den Studenten schriftliche Empfehlungen. Bei Anrufen in New York City beispielsweise ist Abtreibung ein empfohlenes Thema. In Virginia hingegen, wo konservative Familienwerte im Vordergrund stehen, soll Abtreibung unbedingt vermieden werden.

Daniel Barash ist mit 22 Jahren bereits Realpolitiker. Er findet die Gesundheitsreform „nicht perfekt, aber das Beste, was unter den Umständen im Kongress zu erreichen war“. Und nennt die größere Transparenz bei der Kreditkartenwirtschaft als zweite Errungenschaft des ersten Amtsjahrs von Obama.

Zu Afghanistan hingegen hat er keine klare Meinung: „Davon verstehe ich zu wenig.“ Überhaupt ist Afghanistan an der Universität kaum ein Thema. Die Studenten fühlen sich nicht betroffen. Daniel Barash: „Wer zur Armee geht, ist weniger gut gebildet und gehört zu den unteren Klassen.“

Der „Dollar and Dollars“-Laden mit billigen Drogerie-Artikeln an der Fulton-Straße liegt mitten in dem berüchtigten West-Baltimore. In dem Laden tropft es von der Decke. Im Schaufenster hängen Strähnen von Kunsthaar zwischen Resten alter Dekorationen und zusammengeknülltem Papier. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite flackert permanent das Blaulicht der „Citywatch“-Video-Überwachung. Ein paar junge Männer mit hochgezogenen Sweatshirts und tief in den Hosentaschen versenkten Händen stehen schweigend auf der Straße.

Der 71-jährige Stacey Montgomery verbringt seine Zeit im Eingang des Ramschladens. Der frühere Zimmermann sitzt jetzt im Rollstuhl und muss von einer Rente von 700 Dollar leben. Wenn er seine 200 Dollar Miete in dem Altersheim gezahlt hat, wird es „etwas knapp“. Vor allem Obst und Milchprodukte und fettarmes Fleisch kann er sich kaum noch leisten.

Stacey Montgomery nennt seinen Stadtteil ein „sehr armes Ghetto“. Es fällt ihm schwer zu verstehen, warum genug Geld da war, um die nur fünf Minuten entfernte Downtown herauszuputzen, aber nichts für das Armenviertel West-Baltimore. Ihn empört die Spekulation der Hausbesitzer mit dem Wohnungsleerstand. Und der Anstieg des Brotpreises auf 1,50 Dollar.

Aber auf Obama lässt Stacey Montgomery nichts kommen. „Der hat ein Land übernommen, das in der Scheiße steckte“, sagt er, „Bush hat zwei Kriege begonnen und uns hoch verschuldet. Jetzt muss sein Nachfolger sehen, wie er da wieder herauskommt.“ Allein durch seine Wahl habe Obama dazu beigetragen, dass die Weißen anders auf Schwarze wie ihn schauen, meint Stacey Montgomery. Er will den Präsidenten nicht im Stich lassen – und ihn in drei Jahren wieder wählen.