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Archiv-Artikel

Hamburg – Bamako und retour

GRENZENLOSES THEATER In seinem neuen Stück „Paradise Mastaz“ setzt sich das transnationale Performance- und Theater-Projekt Hajusom mit klischeebesessenen Touristen, den himmelhohen Hürden um die Festung Europa und dem Preis des Wohlstands auseinander

„Die U-Bahn kommt pünktlich, aber die Menschen sind tot“, rappen die Performer

VON KNUT HENKEL

Die Bühne liegt im Halbdunkel. Im Vordergrund schimmern dunkle Gitterkästen, im Hintergrund lösen sich Schatten aus dem Dunkel, die sich langsam auf die Gitter zubewegen. Parallel zu der Szene auf der Bühne läuft ein Video, das auf eine große Leinwand am linken Bühnenrand projiziert wird. Dunkle Schatten sind auch hier zu sehen und genauso wie auf der Bühne bewegen sie sich auf einen Zaun zu. Nur besteht der nicht aus gestapelten Kästen, ist ungleich höher, mit Stacheldraht versehen und von schwer bewaffneten Grenzschützern bewacht.

Mehrere Kilometer lang ist dieser Zaun, der die spanische Enklave Ceuta umgibt. Die Halbinsel liegt direkt gegenüber von Gibraltar und hier starben in der Nacht vom 28. auf den 29. September 2005 vier Menschen am Grenzzaun. Hunderte Flüchtlinge aus Niger, Mali oder Kamerun hatten in jener Nacht versucht, die Grenzanlagen zu überwinden, um in die Festung Europa zu kommen. Schüsse fielen, Menschen wurden niedergetrampelt, andere blieben im Zaun hängen und kaum jemand schaffte den erhofften Sprung in ein besseres Leben.

Aboubakar Badi Maiga spielt eines der Opfer am Grenzzaun, die leblos weggeschafft werden. Der 17-Jährige kommt aus Gao in Mali und weiß wie schwierig es ist, nach Europa zu kommen. Acht Tage ist er gereist, bis er in Hamburg in Sicherheit war. Vor dem Krieg in Mali, der ihn der Eltern beraubt hat, ist er geflohen. Siebzehn Monate nach seiner Ankunft in Hamburg spielt er nun die „Top Lady“ in „Paradise Mastaz“. So heißt das aktuelle Stück des grenzenlosen Hamburger Theaterprojekts „Hajusom“, das am Freitag auf Kampnagel Premiere feiert.

Die „Top Lady“ weiß, wie die Welt funktioniert. Sie kennt die politischen und ökonomischen Realitäten zwischen Europa und Afrika. Einen Eindruck davon hat auch Aboubakar gewonnen. Und sogleich die Chance ergriffen, bei „Hajusom“ mitzumachen. „Beim Spielen kann ich vergessen und bei Hajusom wurde ich mit offenen Armen empfangen“, erklärt er. Eher die Ausnahme als die Regel im Paradies Europa. „Das erfüllt bei genauerer Betrachtung längst nicht mehr die eigenen Erwartungen erfüllt“, sagt Dorothea Reinicke, Teil der künstlerischen Leitung bei Hajusom, mitleidig lächelnd. Bestes Beispiel dafür sind die Zypernkrise, aber auch die steigende Arbeitslosenquote im Euro-Raum. Ein Paradies in Auflösung sozusagen. Und das kommt in „Paradise Mastaz“ genauso zur Sprache wie die verquere Sicht auf einen ganzen Kontinent.

Zum Beispiel in dem göttlich inszenierten Besuch einer internationalen Touristenhorde in einem afrikanischen Dorf. Prompt mokiert sich ein berlinerndes Unikum namens Horst darüber, dass alle mobil telefonieren. „Das ist kein bisschen afrikanisch“, sagt der nach Authentizität aus dem Märchenbuch suchende Berliner enttäuscht. Wenig begeistert vom Paradies Europa sind auch diejenigen, die den Sprung in die Festung geschafft haben: „Europa ist eine leere Schachtel. Die U-Bahn kommt pünktlich, aber die Menschen sind tot“, rappen die Hajusom-Performer zu fetten Beats an anderer Stelle. Szenen, die beim Publikum genauso haften bleiben wie der Kampf der Schaumstoff-Puppen um die Rohstoffe Afrikas oder die klapprigen Boote, mit denen ins vermeintliche Paradies im Norden übergesetzt werden soll.

Dabei kommt „Paradies Mastaz“ mit einem spärlichem Bühnenbild aus, wodurch die Puppen von Yaya Coulibaly, dem Puppenspieler aus Bamako, besser zur Geltung kommen. Die sind ein neues Ausdrucksmittel für die Hajusom-Truppe, gemeinsam mit dem Künstler aus Mali wurden die Puppen aus Holz, Pappmaché und Schaumstoff in den letzten Monaten gebaut. Ihnen kann man so manchen plakativen Satz in den Mund legen, wodurch der humorvolle Appell für mehr Mit- und weniger Gegeneinander an Drive gewinnt. Für die nötigen Beats sind dabei die beiden Lokalgrößen Knarf Rellöm und Viktor Marek verantwortlich. Sie sorgen dafür, dass auch Hajusom-Newcomer Aboubakar Badi Maiga eine gepflegte Sohle aufs Kampnagel-Parkett legt.

■ Premiere mit Publikumsgespräch: Fr, 12. 4., 19.30 Uhr, Kampnagel, Jarrestr. 20. Weitere Termine: Sa, 13. 4., So, 14. 4., Do, 18. 4., Fr, 19. 4. und Sa, 20. 4., je 19.30 Uhr