Problemphrasen im Phasenkonzept

Jugendhilferechts-Experte Bernzen legt Gutachten zur Feuerbergstraße vor und benennt neue Rechtsbrüche: Jugendliche müssen dort auch bleiben, wenn die Pädagogik sie nicht erreicht. Sozialsenatorin ist dennoch entzückt und zahlt 150.000 Euro

Von Kaija Kutter

Es wirkte harmonisch, als Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) gestern gemeinsam mit dem Jugendhilferechts-Experten Christian Bernzen Auszüge aus dessen Gutachten zur Geschlossenen Unterbringung Feuerbergstraße (GUF) vorstellte. „Wir haben kein neues Problem-Thema entdeckt“, sagte die Senatorin und sprach von einer „im Großen und Ganzen“ funktionierenden Einrichtung. Von Bernzens 22 Thesen würden mit zwei Ausnahmen alle befolgt werden (siehe Beitext und Kasten).

Bernzen, dessen Rechtsanwaltsbüro für die sechswöchige Teamarbeit 150.000 Euro in Rechnung stellt, sagte der Senatorin nicht ins Gesicht, dass er ihr eben keinen Persilschein gibt. Das erschließt sich erst nach der Lektüre der 220-Seiten-Expertise. Der SPD-Schattensozialsenator im Wahlkampf 2004 hat die 33 Akten der von Januar 2003 bis November 2005 in die Feuerbergstraße eingewiesenen Jungen durchgearbeitet und kommt zu dem Schluss, dass das Fehlen einer „konsistenten Hilfeplanung“ ein zentrales Problem der GUF ist. Die Akten enthielten lediglich Hinweise auf Straftaten, die durch bisherige Hilfen wie Wohngruppen nicht unterbunden werden konnten.

Als „Hilfeziel“, so Bernzen, werde lediglich die „Abwesenheit von Straftaten“ angeführt, was aber zur Erfüllung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes nicht reicht. Dieses schreibe vor, dass es einen Hilfeplan mit konkreter Angabe von „Zielen“ und einer „Perspektive fürs Erwachsenwerden“ gibt, an dem auch die Eltern und Kinder selbst beteiligt werden müssen. Nötig sei dafür ein „guter Ort des Aufwachsens“, der so sein müsse, dass „auch Sie ihr Kind dorthin schicken würden, wenn es in Schwierigkeiten wäre“.

Bernzen sprach auch mit dem Familieninterventionsteam der Behörde (FIT), welches die Polizeimeldungen über straffällige Jugendlichen entgegennimmt und prüft, ob sie für die GUF in Frage kommen. Dabei äußerten die FIT-Mitarbeiter offenbar, dass das strenge Konzept der Feuerbergstraße kaum Spielraum für einzelfallbezogene Hilfe und Ziele zulasse. Auch gibt es laut Bernzen beim FIT ein „Unbehagen“ gegenüber dem starren „Phasen-Konzept“. Dieses besagt, dass die Jungen das Haus im ersten Monat gar nicht verlassen dürfen und bei Fehlverhalten in späteren Phasen mit Rückstufung bestraft werden. „Freiheitsentzug“, warnt der Professor, „darf nicht Inhalt von Jugendhilfe sein“.

Bernzen kritisiert weiter, die Vorgabe an das FIT, „für jeden Fall eine Lösung zu finden“, führe bei gleichzeitiger Beschränkung auf die GUF dazu, dass auch Jungen dort landen, für die „mutmaßlich keine Maßnahme geeignet ist“. Das FIT selbst führe eine Statistik, nach der es erstens die „gut laufenden Fälle“, zweitens jene, bei denen sich „minimal was tut“ und drittens die „hoffnungslosen Fälle“ von Jungen gibt, die von der eigentlich zuständigen Psychiatrie abgelehnt werden. Das FIT, so Bernzen, lasse sie aber in der GUF, weil sie „nicht draußen herumlaufen“ sollten. Nach seiner Recherche wird etwa die Hälfte der Jungen in der GUF pädagogisch nicht erreicht, aber dennoch für die gerichtlich genehmigte Dauer dort gehalten. „Dieses Vorgehen“, so sein Fazit, „ist rechtswidrig.“

Schnieber-Jastram verteilte auf der gestrigen Pressekonferenz eine eigene Kurzfassung von Bernzens Aussagen, ergänzt um eigenen Kommentierungen. Demnach sei es eine gute Anregung, die Hilfsplanung zu verbessern, dennoch spiegele Bernzens diesbezügliche Analyse „die Wirklichkeit im FIT und in der GUF nicht zutreffend wieder“.

Gleichwohl erklärte Schnieber-Jastram, sie werde im ersten Quartal 2006 ein Konzept für die schwierige Gruppe der schwer erreichbaren Jungen vorlegen. Auch über das umstrittene Phasenkonzept könne man sich „Gedanken machen“.

Man müsse „insgesamt kreativer sein“, um im Einzelfall richtige Lösungen zu finden, ergänzte ihr Staatsrat Klaus Meister und belegte mit weiteren Ausführungen, dass er das Gutachten nicht versteht. Bei der GUF gehe es darum, „ein paar Jungs von der Straße zu holen“ und „den Bürgern eine Last zu nehmen“. Denn deren Sicherheit sei, so Meister, ein „äußerst wichtiges Gut“.