: Der Traum von Oslo
Die Sängerin Rim Banna gibt den Palästinensern eine Stimme. Ihre Spezialität sind traurige Schlaflieder. Sie lebt allerdings in Nazareth, einer palästinensischen Enklave in Israel. Dementsprechend schwierig ist es für sie, Auftrittsmöglichkeiten zu finden
VON DANIEL BAX
„Ich lebe in Palästina“, sagt Rim Banna. Das überrascht zunächst, denn schließlich befinden wir uns in Nazareth, ihrer Heimatstadt, ganz eindeutig auf israelischem Gebiet. Doch Rim Banna ist da kategorisch: „Natürlich besitze ich einen israelischen Pass. Ich akzeptiere dieses Dokument, weil ich hier leben möchte. Aber ich lebe in einer palästinensischen Stadt, in einer palästinensischen Atmosphäre.“ Beim Blick aus dem Fenster und, später, beim Gang durch die Straßen von Nazareth wird verständlich, was sie meint. Denn Nazareth ist eine durch und durch arabisch geprägte Stadt und hat mehr Ähnlichkeiten mit Bethlehem, das jenseits der Mauer in den palästinensischen Gebieten liegt und mit dem es durch den gleichen berühmten Sohn verbunden ist, als mit irgendeinem anderen Ort in Israel.
Warum Nazareth von den Vertreibungen verschont blieb, vor denen 1948 die Mehrheit der arabischen Bewohner aus dem neu entstehenden Staat flüchtete, dafür gibt es verschiedene Erklärungen: Womöglich war die Stadt, strategisch günstig über den Hügeln von Galiläa gelegen, nicht einzunehmen, vielleicht war der Widerstand auch zu groß. Im Geschichtsunterricht an israelischen Schulen lernt man jedenfalls nichts über die Gründe, da kommt das Thema praktisch nicht vor. „In den Schulbüchern wird es so dargestellt, als ob das Land leer gewesen wäre und sie uns die Zivilisation gebracht hätten“, ärgert sich Rim Banna. Wenn sie die Schulbücher ihrer zwölfjährigen Tochter liest, kann sie sehr wütend werden. „Das ist schon sehr rassistisch. Aber ich sage meiner Tochter auch, dass das großer Mist ist.“
Die Sängerin Rim Banna versteht sich als Stimme der Palästinenser. In ihrer rustikal eingerichteten Wohnung in Nazareth hängen neben einem Che-Guevara-Porträt auch ein paar Fotos, die sie mit Yassir Arafat zeigen. Ihr demonstrativer Nationalstolz mag allerdings auch ein Resultat der zweiten Intifada sein, die zur Entfremdung und Verbitterung zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen beigetragen hat. Schließlich sind in den letzten fünf Jahren nicht nur tausend Israelis, sondern auch drei Mal so viele Palästinenser der Gewalt zum Opfer gefallen – das ist auch an den „arabischen Israelis“, wie sie im offiziellen Sprachgebrauch heißen, nicht spurlos vorbeigegangen. „Während der zweiten Intifada haben sie dicht besiedelte Nachbarschaften mit F-16-Bombern und Apache-Hubschraubern bombardiert! Solche Waffen setzt man in einem Krieg ein, nicht in dicht besiedelten Nachbarschaften!“, kann sich Rim Banna noch immer echauffieren. Über die Welle der Selbstmordattentate während dieser Zeit sagt sie: „Natürlich werden diese Leute ‚gehirngewaschen‘. Aber wenn es etwas Hoffnung gäbe, würde man niemanden finden, um diese Taten auszuführen.“
Ihr Mann, der ukrainische Musiker Leonid Alexeienko, serviert den Gästen derweil frischen Kaffee aus einer orientalisch geschwungenen Kanne, und wenn sie spricht, hört er die meiste Zeit andächtig zu. Kennen gelernt haben sich die beiden, als Rim Banna zum Studium in Moskau weilte. 1991 heirateten sie, und Leonid folgte ihr nach Nazareth, wo er seitdem ihre musikalische Karriere begleitet. Gemeinsam haben sie die zwölfjährige Tochter und zwei Söhne im Alter von zwei Jahren.
Seit den Achtzigerjahren hat Rim Banna mehrere Alben aufgenommen, die ihren Ruf unter Palästinensern begründet haben. Doch erst kürzlich ist mit „The Mirrors of My Soul“ ihr erstes Album erschienen, das auch international vertrieben wird. Es entstand in Oslo, mit Hilfe des norwegischen Produzenten Eric Hillstad. Darauf zu hören sind nur dezent orientalisch klingende Balladen, die von einer tiefen Melancholie durchzogen wirken, aber auch ein paar fröhlichere Stücke, die von palästinensischen Volksliedern inspiriert wurden. „Unsere Songs schmeicheln dem westlichen Ohr“, sagt Rim Banna.
Doch die Themen ihrer Lieder sind nicht so leicht verdaulich. Schlaflieder sind Rim Bannas Spezialität. Manche davon sind aber wohl zu traurig, um sie kleinen Kindern zuzumuten. Der Song „Sara“ etwa handelt von einem 16 Monate alten Mädchen aus einem Dorf bei Nablus, das während der zweiten Intifada zum Opfer eines israelischen Scharfschützen wurde. Und der Titelsong, der auf einem Poem der palästinensischen Dichterin Zuhaira Sabbagh beruht, ist den 336 Kindern gewidmet, die seit Beginn der zweiten Intifada in israelischen Gefängnissen interniert wurden.
„Ich möchte das westliche Publikum in seinem ruhigen Schlaf stören“, gesteht Rim Banna. „Es soll darüber nachdenken, was in der Welt passiert. Nicht nur in Palästina.“ Trotzdem betrachtet sich Rim Banna nicht als politische Sängerin, auch wenn sie sich stolz als „Kommunistin“ bezeichnet. „Aber natürlich haben meine Songs eine klare Botschaft, eine eindeutige Aussage: Ich erzähle etwas über die palästinensische Erfahrung.“
In ihrer Musik findet sie dafür mehr Zwischentöne als im Gespräch. Durch die zweite Intifada hat sich die Situation allerdings auch innerhalb Israels verschärft, die Fronten sind verhärtet. So wurden beim Ausbruch der Al-Aksa-Intifada, im Oktober 2000, auch 13 „arabische Israelis“ aus Nazareth von der Polizei getötet, als sie an einer Demonstration teilnahmen. Erst kürzlich, nach fünf Jahren, hat eine Untersuchungskommission abschließend erklärt, dass sich die Verantwortlichen nicht ermitteln ließen, also könnten sie nicht bestraft werden. „Wenn das jüdische Bürger gewesen wären, dann wäre der Teufel los gewesen!“, erregt sich Rim Banna. Bei einer Demonstration jüdischer Siedler, das weiß Rim Banna natürlich auch, hätte das allerdings auch gar nicht passieren können: Da wird gewöhnlich nur Tränengas und keine scharfe Munition eingesetzt.
Seit Ausbruch der zweiten Intifada hat Rim Banna auch nicht mehr mit israelischen Künstlern auf der Bühne gestanden. „Ich sehe darin keinen Sinn mehr“, sagt sie resigniert. „Wie kann man zusammensitzen und über Frieden reden, während draußen ein Krieg tobt?“, fragt sie rhetorisch, und: „Was soll ich überhaupt auf einem israelischen Festival? Ich gehöre da nicht hin, ich kann ihre Einstellung nicht ändern. Außerdem muss man vorher eine Liste der Songs vorlegen, die man singen will, und das möchte ich nicht.“ Stattdessen tritt sie lieber in Europa auf. Vor allem in Norwegen hat sie viele Konzerte gegeben, denn dort lebt auch der Produzent ihres Albums, Hillstad. Er kam im Jahr 2002 nach Nazareth, um sie zur Mitarbeit an dem Album „Lullabies from the Axis of Evil“ zu gewinnen. Das Album versammelt Schlaflieder aus jenen Ländern, die von George W. Bush einst der „Achse des Bösen“ zugerechnet wurden: Iran, Nordkorea und Palästina. „Die Idee war, zu zeigen, dass auch diese Länder Kultur haben“, erklärt Rim Banna. Dieser Einfall mag zwar etwas schlicht gewesen sein, doch das Album hatte seinen Reiz. Rim Banna ist darauf mit zwei Stücken vertreten, eines davon ist ein Duett mit der norwegischen Jazzsängerin Kari Bremnes. Später nahm sie noch ein Weihnachtsalbum mit einem norwegischen Chor auf und tourte damit durch 17 Städte. „Und demnächst werden wir an einer TV-Sendung teilnehmen, in der es um Gewalt gegen Frauen geht“, sagt Rim Banna. Wenigstens dieser Traum von Oslo hat sich erfüllt.
In der arabischen Welt bleiben ihr die Wege allerdings weiterhin versperrt. Zwar werden ihre Lieder auch im Libanon oder in Syrien gehört. Dorthin reisen kann sie als israelische Staatsbürgerin allerdings nicht, selbst in die palästinensischen Gebiete kann sie nicht so ohne weiteres fahren. „Vor dem Jahr 2000 bin ich häufig in Gaza aufgetreten und habe viele Konzerte in den Flüchtlingslagern gegeben. Aber jetzt ist das nicht mehr möglich.“ Manchmal tritt sie noch in Jaffa oder Haifa auf, vor überwiegend arabischem Publikum. Oder, zu besonderen Anlässen, auch in Ramallah, denn wann immer die palästinensische Autonomiebehörde eine Feier abhält, wird Rim Banna dazugerufen. „Allerdings riskiere ich jedes Mal, wenn ich nach Ramallah fahre, an der Grenze verhaftet zu werden.“
Diese seltsame, ungelöste Situation schärft das Bewusstsein für den Konflikt: „Immer wenn wir die Checkpoints passieren und unsere Instrumentenkoffer über die schmutzige Erde schleifen, dann fühlen wir uns ein bisschen wie Kämpfer auf dem Feld“, gesteht Rim Banna und lächelt dabei verlegen. „Aber für mich ist die Musik, die Kultur, der einzige Weg für die Palästinenser, um sich selbst zu helfen. In der politischen Arena hört ja niemand mehr auf uns. Heute gilt jeder von uns nur noch als Terrorist.“
In ihrer Musik sieht sie deshalb eine Form des gewaltlosen Widerstands. „Es stört die Israelis am meisten“, hat sie festgestellt, „wenn man die Palästinenser als menschliche Wesen zeigt. Sie würden uns gerne alle als ignorant und gewalttätig darstellen.“ Dass die israelische Botschaft interveniert, wann immer sie irgendwo im Ausland auftritt, daran hat sie sich schon gewöhnt. Dabei sind ihre Absichten eigentlich ganz friedlich: „Ich wünsche mir Gleichberechtigung und eine bessere Zukunft für meine Leute. Nicht, dass nur der Stärkere diktiert, was passiert und was zu tun ist.“
Rim Banna: „The Mirrors of My Soul“ (Strange Ways / Indigo)