: „Ich wollte nie der Revoluzzer sein!“
Tim Mälzer, 34, ist der Proll unter den Fernsehköchen. Sein Erfolg heißt: Kartoffelpüree aus der Tüte, Dosenbier und „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“. Trotzdem steht er auf Sonntagsbraten-Essen bei Oma und Fünf-Sterne-Restaurants. Ist er der Vorreiter einer bürgerlichen Proll-Bewegung?
VON SUSANNE LANG UND MARTIN REICHERT
taz: Herr Mälzer, wann war Ihnen zuletzt richtig schlecht?
Tim Mälzer: Vom Essen?
Ja.
Nur einmal, mit 19 in Italien. Wir waren eingeladen und bekamen eingelegte Paprika serviert, die immer mehr wurde im Mund …
Wie, immer mehr?
Na, da haste diese wabbelige Paprika, deren Geschmack schon abartig ist, und dann kriegst du sie nicht mehr aus dem Mund …
Der Titel Ihrer Kochshow „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ stimmt dann nicht ganz, oder?
Er ist auch nicht von mir.
Wie hätten Sie die Show genannt?
„Fist Food“ – um das Handfeste meiner Sendung herauszustellen. Aber da hatte die Redaktion leichte Bedenken.
Das können wir uns vorstellen. Was bedeutet der jetzige Titel?
Wenn ich ihn in irgendeiner Form deuten sollte, dann wäre das wohl: Niemand soll mir erzählen, was mir schmeckt und was nicht.
Was man von vielen Müttern kennt, diese autoritäre Haltung?
Genau. Und eben vom bisherigen Kochen im Fernsehen. Da hieß es immer: So muss es sein, sonst schmeckt es nicht. Diese Attitüde, furchtbar.
Mussten Sie als Kind immer aufessen?
Ich war nie krüsch und habe immer alles gegessen. Nur Rahmspinat, dieser gequirlte Blubb-Kram, das ist nicht mein Ding. Aber ich mochte sogar Schnecken.
Gemeinsame Mahlzeiten, zu Hause und selbst gekocht – das wird ja gesellschaftlich gerade wieder hochgehalten.
Das finde ich richtig. Ich persönlich hatte diesen Wert auch nie verloren. Wenn ich früher, mit 18, Sonntagnachmittag zu meiner Großmutter gegangen bin, Braten essen, wurde ich von Freunden immer bemitleidet. Heute sagen alle: Oh, wie süß, da ist jemand, der hat noch Werte.
Warum geht der Trend zum Familiären?
Man versucht ja immer, sich etwas zu schaffen, was man eigentlich nicht hatte. Viele von uns sind mit liberalen Eltern groß geworden, die uns zwar viel Freiheit gelassen haben, dafür hat uns Nestwärme gefehlt. Und wir sind die Kinder der Scheidungswelle.
Die Leute der Generation-Illies-Golf treten betont konservativ auf, Sie dagegen geben gerne den Proll. Sind Sie schon wieder eins weiter?
Ich glaube schon. Für mich gehört dazu, dass ich zu einer Silberhochzeit einen Anzug trage, privat habe ich aber immer noch den Hang zu Dosenbier. Ich kann mich auf allen Bühnen bewegen – und das nicht, weil ich im Fernsehen bin, das habe ich vorher gelernt.
Proklamieren Sie deshalb auf einer „Pommes-rot-weiß“- Postkarte „Du bist Tim Mälzer“? Als Role-Model?
Diese Kampagne finde ich sehr gut und ich stehe zu ihr, obwohl sie von der intellektuellen Elite belächelt wird. Ich bin kein Berufsoptimist, aber ich versuche nicht nur die negativen Dinge zu sehen. Das fehlt in Deutschland.
Und die Kampagne hilft?
Sie will zeigen, dass es zunächst an jedem selber liegt, in welcher Situation er ist. Und damit meine ich nicht Obdachlose oder Leute, die durch das soziale Netz gefallen sind. Aber dass ein Arbeitsloser einfach mal ein Jahr guckt, ob was passiert, das geht nicht. So habe ich auch schon gedacht, als ich noch nicht so erfolgreich war wie jetzt und kein Geld hatte. In dieser Hinsicht bin ich eher konservativ.
Wieso eher? Wie ist denn Ihre politische Einstellung?
In Parteizugehörigkeiten denke ich nicht. Ich entscheide jedes Mal neu, nach den Kandidaten und ihren Programmen. Aber ich bin schon ein kleines SPD-Kind, jedenfalls glaube ich, dass in meiner Familie sehr viel SPD gewählt worden ist.
Dann müssen Sie mit der großen Koalition eigentlich zufrieden sein?
Ich muss sagen, ich war noch nie politverdrossen, nach dieser Wahl bin ich es. Ich habe wirklich überlegt, in irgendeiner Form aktiv zu werden, weil ich mich noch nie so verarscht gefühlt habe. Ich glaube, dass die große Koalition erfolgreich sein kann – aber musste dieses Machtgepoker sein?
Was meinen Sie mit „aktiv werden“?
Ich würde mich gerne wehren gegen die „Verarsche“, weiß aber nicht genau, wie.
Ist es einfacher in Sachen eigener Karriere zielstrebig zu sein?
Der Aufbau meines Restaurants war harte Arbeit, aber der Erfolg, den ich jetzt habe – die Aufmerksamkeit – ist geschenkt, ein Zufall.
Das klingt kokett.
Nein, ich genieße es sehr und würde meine Leistung nie schmälern. Aber im wörtlichen Sinne habe ich mir den Medienerfolg nicht verdient.
Können Deutsche das auch zu wenig: Erfolg genießen?
Nein, aber eigenartigerweise hat die Intellektuellenschicht einen Neid, den die breite Masse noch nicht mal empfindet.
Neidisch worauf?
Gucken Sie sich mal an, wie in den überregionalen und seriösen Zeitungen über den Boom der Fernsehköche berichtet wird: nur kritisch und mit dem Vorwurf, dass hinter den Kochshows eine Marketingmaschinerie stecke. Dass man wirklich Leute zum Selberkochen bewegt, wird unter den Teppich gekehrt.
Also geht es nicht um Marketing?
Natürlich geht es auch ums Geld, das ist doch klar. Jeder will doch Geld mit dem verdienen, was er macht. Wenn es die einzige Motivation ist, wird es falsch.
Will der Koch-Provokateur am Ende doch dazugehören? Das Joschka-Fischer-Prinzip?
Ich weiß, was Sie meinen. Ich kenne da zum Beispiel manchen Bauwagenbewohner, Anarchisten, zumindest wollen sie das sein. Über die Jahre haben sie aber eine unglaubliche Intoleranz entwickelt, schlimmer als jeder Kleingartenverein! Die haben sogar Aufnahmebedingungen auf ihrem Platz. Eine elitäre Haltung eigentlich.
Warum stört Sie das?
Ich wollte noch nie der Revoluzzer sein, der andere von seinen Ansichten überzeugen muss. Aber hey – ich wusste gar nicht, dass Kochen so ein Politikum sein kann!
Warum erstaunt Sie das – Essen bzw. Verbraucherschutz sind doch Kernthemen der Grünen?
Ach, die Grünen. Die sind engstirnig geworden. Wer nicht mindestens vier verschiedene Sorten Olivenöl aus der Toskana mit nach Hause bringt, ist ein schlechter Mensch. Schrecklich, diese Dogmen!
Aber im Verbraucherschutz sind die doch sinnvoll?
Absolut! Neulich erst habe ich ein Riesenfeedback bekommen, als ich mich über Zuchtputen wahnsinnig echauffiert habe: Dolly Buster hoch zehn, bloß alles ohne Beine, weil sie die Riesenmöpse gar nicht mehr tragen kann. Ich will mich im nächsten Jahr auch für mehr Qualität und bessere Aufzucht einsetzen, da hilft mir meine Popularität.
Was sollen wir denn Ihrer Meinung nach kaufen und wo?
Wenn jemand 3.000 Euro verdient im Monat und bei Aldi billig einkaufen geht, dann ist er wirklich dämlich. Wenn aber jemand Hartz-IV-Empfänger ist, dem kann ich nicht erzählen, er soll sich eine Biolammkeule kaufen, knapp zwei Kilo für 84 Euro.
Sie sind gegen diese Art von Selbstdarstellung, dieses Chichi-Kochen?
Deshalb habe ich auch bei meinem Fernseh-Weihnachtsmenü neben fünf Sterneköchen Kartoffelpüree aus der Tüte gemacht. Weil ich es eben geiler finde, wenn sich jemand bemüht, dass wenigstens die Gans gelingt. Da müssen die Klöße nicht auch noch selbst gemacht sein.
Legen Sie dann später, beim Essen, Wert auf Etikette, auf Tischmanieren?
Bedingt, ja. Was ich wichtig finde, sind Manieren im Miteinander. Respektvolle Umgangsformen.
Dafür behandeln Sie Ihre Lebensmittel nicht sehr respektvoll – zumindest finden das manche Ihrer Zuschauer.
Dann gucken die nicht genau hin! Klar fällt mal was zur Seite, es muss ja schnell gehen. Aber ich fasse die Lebensmittel an wie Kleinkinder! Manchmal werfe ich sie hoch, okay, aber dann fange ich sie weich mit den Fingern wieder auf. Ich bin auch ein extrem haptischer Mensch. Wenn ich scheiße drauf bin, muss ich nur ein Stück Fisch anfassen und mir geht’s besser.
Wie sinnlich wird es denn bei Ihnen an Weihnachten?
Dieses Jahr gibt es italienisch, Antipasti und so.
Sie kochen?
Nein, garantiert nicht. Das ist mein Luxus, ich koche zwar leidenschaftlich gerne, aber nur wenn ich Bock drauf habe, nicht wenn ich muss.
Wer kocht dann?
Die Familie. Wir sind immer die gleiche Besetzung, wechseln uns aber mit dem Kochen jedes Jahr ab. Damit der Stress gerecht verteilt wird.
Könnten Sie sich vorstellen, eine eigene Familie zu gründen?
Keine Ahnung. Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ein Kind ist ja kein Anziehpüppchen und ich weiß nicht, ob ich bereit bin, mit einem Kind durch dick und dünn zu gehen. Obwohl ich weiß, dass ich mich dann sehr zusammenreißen könnte.