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Archiv-Artikel

Wohlgeölte Zunge

betr.: „Was können Sie gut?“, Interview mit dem Unternehmens- berater Roland Berger, taz vom 19. 12. 05

Roland Berger kam zu Besuch in die taz. Der Anzug sitzt perfekt, das Lächeln ist breit, und die sonore, sichere Stimme ist jeden Tagessatz wert. Die Frage, ob man ihn fürchten müsse, erhebt ihn gleich in die ihm zustehende Position. Augenzwinkernd gestellt und locker beantwortet, macht sie zweifelsfrei klar, dass hier niemand befragt wird, um seine Ansichten zu erläutern oder um Verständnis für einen Standpunkt zu werben. Hier spricht die Macht der Fakten. Sein Urteil mag hart sein, es ist dennoch gerecht, weil wahr. Er ist gekommen zu bringen den Erfolg, und jedes Opfer dient nur dem höheren, größeren Ganzen. There is no alternative.

Von da ab ist alles einfach und klar. Der Interviewer wird zum Bewerber und wird sich beraten lassen müssen.

Wer Wirtschaft in Verantwortung der Gesellschaft sieht, ist ein nationalistischer Kleingeist, der den Polen nicht das gleiche Recht auf zu billige Arbeit zubilligt. Keine Nachhaken stört die Belehrung, keine Frage, wie es komme, dass Polen die höchste Arbeitslosigkeit Europas hat; kein Hinweis darauf, dass auch dort kein Wohlstand entsteht, sondern nur Reichtum.

Jetzt muss er streng werden, der Roland. Dass jeder die Pflicht habe, seine Existenz zu erarbeiten, ist eine Neuinterpretation der Menschenrechte, die flott über die wohlgeölte Zunge geht. Und da ist kein kühner Journalist, der nach einer korrespondierenden Pflicht des Arbeitgebers fragt oder darauf hinweist, dass die Existenz jedes Menschen bedingungslos ist.

Klein ist er nun, der Frager, der ja leider kein Investor ist. Doch Roland schlägt ihn zum Ritter des erwerbslosen Einkommens, der als Rentenfondsbesitzer der Kapitalist von heute sei. Aber wer daran verdient, wenn die 15 bis 40 Prozent Kapitalrendite, die aus einem Unternehmen gepresst werden, als vierprozentige Versicherungsrendite bei uns Kleinkapitalisten ankommt, und ob die umlagegesicherte Rente dann nicht doch günstiger, effizienter und humaner ist, sind Fragen, die man vermisst.

Nun noch rasch das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zugunsten einer Pisa-gerechten Umerziehung im Hinblick auf spätere Karrieretauglichkeit abgeschafft, und dann kann der Kandidat endlich den Sinn des Ganzen erfahren: Bedürfnisse besser und billiger zu befriedigen ist das Ziel, sagt Roland.

Was für ein unlogischer, geistloser Quatsch. Unlogisch, weil Marktwirtschaft darauf beruht, dass bessere Leistung einen höheren Wert darstellt. Dieser wird üblicherweise in Geld ausgedrückt. Also muss das Bessere mehr kosten, denn was billiger ist, ist weniger wert. Geistlos, weil wirklich nicht das unser Bedürfnis ist, was bei Plusaldidl im Regal steht.

Wirtschaft ist nicht alles – und ohne alles andere ist Wirtschaft nichts. INGO KLAMANN, Unternehmensberater, Düsseldorf

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