: Eiersalat marsch!
Weihnachten mit einem Pop-Autor: Friss, Christian Kracht!
Für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ rief der Pop-Autor Christian Kracht in der vergangenen Woche: „Heil Fasten!“ Diese Woche machte sich der magere Schreiber eigens für die Wahrheit ans große Fressen.
Montag, 19. Dezember
Noch einmal mein „Tagebuch der Entsagungen“ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 18. 12. nachgelesen, dieses „Protokoll einer Erleichterung“, das ich „im milden, verzeihenden Klima des Bodensees“ schrieb. Aaah, bin ich großartig, mindestens fast schon Martin Walser. Auch das hier pure Genialität: „8 Uhr 21. Leichte Übelkeit. Bauchgrimmen. Das weitere Schlucken des Glaubersalzes ist nicht so einfach wie noch das erste Glas. 8 Uhr 25. Glaubersalz ausgetrunken. Leichter, chimärenhafter Toilettendrang, der sofort wieder aufhört. 8 Uhr 33. Aufstoßen. 8 Uhr 44. Immer noch nichts. 8 Uhr 50. Soll etwas mehr Glaubersalz bestellt werden? Es funktioniert anscheinend nicht richtig. 9 Uhr 04. Erster Ausschub. Blitzartig.“
Blitzartig, o ja, blitzkriegartig kam die Brühe durch den Darm. Geschenkt. Jetzt wird gefressen. Richtig fett gefressen. Heil fasten! ist vorbei, nun geht es ans Mästen. Bringt mehr herbei, die paar Brocken füllen nicht! Gefüllten Schweinebauch mit Semmelknödeln. Drei Portionen. Aber hallo. Mein Name ist Kracht, Christian Kracht. Ab 8 Uhr 33 wird aufgestoßen. Barps. Oder Börps?
Dienstag, 20. Dezember
Elsässische Choucroute. Die Würste nach den Speckseiten geworfen. Dann alles verputzt. Fleisch, anderthalb Kilo, dazu Kartoffelpürree, wunderbar voll gebuttert. Champagnerkraut. Das treibt. Starke Flatulenz, Ausschub langsam und qualvoll.
Mittwoch, 21. Dezember
Mit Käsefondue die Verdauung stillgelegt. Wie Flüssigbeton, Estrich für den Bauch. Alles dicht, jetzt wird von oben nachgeschoben. Gänsestopfleber. Rahmwirsing. Kalbskopfstrudel. Speckpfannkuchen. Schmalzgebackene Apfelküchle. Dann auf die Waage. Erfolg auf der ganzen Linie. Die ist weg. Ha! Lege mich unter ein Plaid. Zu schwer, schnürt mir den Bauch ab. Weg mit dem Drecksplaid. Mehr essen. Ich muss mehr essen. Viel mehr. Angst vor Hungerödemen.
Donnerstag, 22. Dezember
Der Koch versteht mich. Großer Mann. Der Herr der Fernfahrerteller. Hasst die Nouvelle Cuisine. Und die Nouvelle Vague. Und die Vogue mit den Magersuchtmodels. Grässlich. Die Bedienung ist besser. Stämmig. Wuchtig. Wie die Portionen, die sie mir bringt. Gans mit Maronen gefüllt, Speckrotkraut, Grammelknödel, also Schmalzgrieben. Komplett unverdaulich. Großartig. Klar, dass so was nur aus Österreich kommen kann. Die Deutschen können das nicht mehr. Das haben alles die Nazis kaputt gemacht. Hunger. Ich habe so einen Hunger. Nach Leben. Und noch viel mehr nach Leberwurst. Im Traum allen alles weggegessen. Großartiges Gefühl. Sie heulten, ich nicht.
Freitag, 23. Dezember
Schlimme Nacht. Sechs Stunden ohne Nahrung. Wie in Asien. Ich musste weg aus Asien. Endlich wieder richtig essen, wie bei Mutter. Mutter, o ja: Mutterkuchen. Und fränkische Woscht. A weng Woscht geht immer, das habe ich in dieser Woche gelernt. Nie wieder Salem. Brennen muss Salem. Dahlem auch. Und ich muss essen. Saumägen, Topfenpalatschinken, alles. Zum Frühstück Schweizer Wurstsalat. Wo ist die Mayonnaise? Es ist ein Skandal! Ohne Mayoneese / ist doch alles Keese. Christoph Keese. Auch so ein Angstfaster aus der schönen neuen Springer-Welt. Kein Wunder. Isst nichts. Spachtelt nicht. Kriegt nichts runter, die Mineralwasserflasche. Aber ich! Wo bleibt der Nachtisch? Will man sich über mich lustig machen? Mich, Chritian Kracht? Den zarten Saitling? Mir ist ein bisschen schwer ums Gemüt.
Samstag, 24. Dezember
Zeitung gelesen. Ein Wildecker Herzbube speckt ab. 60 Kilo schon. Geh weg, du Wildecker Herzbube! Du dünnlicher Spargel! Du Verräter am Fleischkäse, am Klops, am kalten Kotelett, an der Brägenwurst. Aus meinen Fettaugen, du Sack! Und Kuttelwürste zu mir! Eiersalat marsch! Kapaun mit Gänseleber- und Gummibärenfüllung. Frittierte Käsekroketten. Mascarponecreme mit Schokoladenkrokant und Nougatmus. Käsecreme mit frittierten Nusskrapfen. Mehr …
An dieser Stelle endet das Tagebuch von Christian Kracht. Der Autor, der so „camp“ war wie ein Pfadfinderlager, war schlicht geplatzt. Die Beisetzung findet im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ statt.
WIGLAF DROSTE