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Archiv-Artikel

Ein fröhliches Fest in dunkler Zeit

Chanukka und Weihnachten verbindet einiges: Lichterglanz und Geschenke zum Beispiel. In religiöser Hinsicht haben beide eher geringe Bedeutung

Wundersamerweise reichte das Öl acht Tage, ebenso lange, wie es dauert, neues, koscheres Öl herzustellen

VON PHILIPP GESSLER

Am Ende ist alles Zufall – oder Bestimmung. Aber gehen wir einfach davon aus, dass es Zufall ist, dann ist es ein schöner, ein astronomischer.

In diesem Jahr fällt Weihnachten auf Chanukka oder Chanukka auf Weihnachten – ein astronomischer Zufall. Denn das jüdische Lichterfest, abhängig vor allem vom Mondkalender, ist selten am selben Tag wie das christliche Fest der Geburt Jesu. Während Christen die Weihnachtsgans verdauen, zünden Juden am morgigen 1. Weihnachtsfeiertag gegen Abend die erste Kerze an ihrer Chanukkia an. Die Kerzen des achtarmigen Leuchters werden nach und nach von einer neunten Kerze, dem „Schamasch“, dem Diener, entzündet.

Dann wird acht Tage lang Chanukka gefeiert, an jedem Abend eine zusätzliche Kerze entfacht, bis am Ende der ganze Leuchter erstrahlt. Beide Feste sind religiöse Familienfeste, die Licht in eine dunkle Zeit bringen, genauer: in die dunkelste Zeit des Jahres. Und auch wenn sie von ihrem Ursprung her wenig miteinander zu tun haben, weisen beide Feiern erstaunliche Parallelen auf.

Beide Feste fallen auf den 25. Tag eines Monats, den 25. Dezember und den 25. Kislew, dem neunten Monat des jüdischen Kalenders. Der aber richtet sich vor allem nach dem Mond, während der übliche „moderne“ Kalender dem Sonnenlauf folgt.

Bei beiden Festen spielen Volkstraditionen eine Rolle. Es gibt traditionelles Essen zu Chanukka, wie Latkes, also Kartoffelpuffer, und Sufganiot, das sind Krapfen. Nicht zu vergessen die Geschenke für die Kinder. Es sind fröhliche Feste. Bestimmte Lieder werden bei beiden gesungen – wobei interessant ist, dass der Reformator Martin Luther das bekannteste Chanukka-Lied, „Maos Zur“, fast Note für Note kopierte und zu dem Kirchenlied „Nun freut Euch liebe Christen g’mein“ umdichtete.

Und beide Feste haben einiges mit Konsum zu tun, womit die problematische Seite vor allem des Weihnachtsfestes benannt ist. Chanukka allerdings ist da auch nicht ganz koscher, wurde doch vor allem früher den Kinder „Chanukka-Gelt“ gegeben. Wie der katholische Theologe Rainer Kampling auf Seite 5 schreibt, konnte das Weihnachtsfest wohl in erster Linie deshalb leicht säkularisiert, internationalisiert und kommerzialisiert werden, weil es religiös nicht so zentral war wie etwa Ostern – und es ist kein Zufall, dass von den vier Evangelisten nur Lukas überhaupt diese populäre „Weihnachtsgeschichte“ der Geburt Jesu ohne Herberge in einem Stall für erwähnenswert hält.

Ähnlich ist es bei Chanukka: Im Judentum ist dies ein untergeordneter Feiertag, der einzige, der seinen Ursprung nicht in der jüdischen Bibel hat. In der Tora, den fünf Büchern Mose, ist die Geschichte, auf der das Fest beruht, gar nicht erwähnt. Erst spätere Schriften des Talmuds, Jahrhunderte später entstanden, schildern das Geschehen. Es ist eine Wundererzählung. Ebenso wie die Aussage des Evangelisten über die jungfräuliche Mutter Maria die Geburt Jesu zu einem Wunder erklärt. Und beides sind Wunder, die über sich hinausweisen wollen.

Das Lichterfest Chanukka – was „Einweihung“ bedeutet – erinnert an den Aufstand des Volkes Israel gegen die syrische Fremdherrschaft und das Verbot der Ausübung der jüdischen Religion unter den hellenistischen Seleukiden im Jahre 165 vor Christus – oder besser hier: vor unserer Zeitrechnung. Den Aufstand gab es wirklich. Der Legende nach aber hatten die siegreichen Israeliten unter Judas Makkabäus für den Leuchter im wieder aufgebauten jüdischen Tempel nur noch reines, koscheres Öl für einen Tag und eine Kerze übrig – dennoch reichte das Öl wundersamerweise acht Tage, ebenso lange, wie es dauert, neues, koscheres Öl herzustellen. Dies wird alles in den jüdischen „Büchern der Makkabäer“ geschildert, die aber gelten als apokryph, also als nicht verbindlich.

Erstaunlicher Weise verquicken sich die jüdische und die christliche Tradition: Denn der hebräische Urtext des ersten Makkabäer-Buches ging im Judentum im Laufe der Jahrhunderte verloren und wurde nur in seiner griechischen Übersetzung als Teil der griechisch-christlichen Bibelübersetzung, der Septuaginta bewahrt. Auch im Christentum blieb das Buch umstritten – erst das römisch-katholische Konzil von Trient im Jahr 1546 kanonisierte es, womit es nun ein verbindliches Buch der katholischen Bibel ist, während es in der Luther-Übersetzung fehlt.

An dieser Stelle gibt es die vielleicht interessanteste Parallele zwischen Weihnachten und Chanukka: ihre starke Instrumentalisierung vor allem für gesellschaftliche und politische Zwecke. Das Weihnachtsfest, das erst im 19. Jahrhundert den uns heute so bekannten besinnlich-kitschigen Charakter erhielt, war (und ist) vor allem ein Fest der Selbstversicherung des Bürgertums. Chanukka dagegen war in den vergangenen Jahrzehnten immer auch ein Fest der jüdischen Selbstbehauptung.

Auch wenn Bischöfen die Haare zu Berge stehen: Feste verbinden Menschen, Kitsch häufig auch

Das war in der Nazizeit so, da die Chanukka-Geschichte den Widerstand der Juden inspirierte: „Sie ist der Beweis für jüdischen Mut und Standhaftigkeit und vor allem für ihre Fähigkeit zu siegen. Es macht uns keine Angst, dass Deutschland so mächtig ist“, erinnert sich später der Rabbiner Joachim Prinz, der ganz bewusst, der jüdischen Tradition gemäß den Chanukka-Leuchter ins Fenster stellte, wie etwa auch in einem eindrucksvollen Exponat der „Weihnukka“-Ausstellung im Jüdischen Museum von Berlin zu sehen, die Jan-Hendrik Wulf auf Seite 4 beschreibt.

Auch der Zionismus hat Chanukka immer wieder politisch aufgeladen, als ein Fest jüdischen Mutes und der Solidarität mit Israel. Selbst im KZ wurde, um sich Mut zu machen, Chanukka gefeiert – und dass die Wachleute im Konzentrationslager Neuengamme am 25. Dezember 1943 ein großes Weihnachtsfest feierten, passt zur ideologischen Pervertierung des Weihnachtsfestes als ein angeblich irgendwie „deutsches“ Fest, was es trotz des weltweiten Exportschlagers „Stille Nacht“ und notorisch germanischer Besinnlichkeit unterm Weihnachtsbaum natürlich nie war.

Angesichts dieser Geschichte liegt auch ein wenig Hoffnung darin, wenn sich das Weihnachtsfest und zum Teil auch Chanukka nun kommerzialisieren, säkularisieren und internationalisieren – so dass beispielsweise russische Juden in Israel am liebsten gleich alles zusammen und hintereinander feiern, wie Charlotte Misselwitz auf Seite 4 schildert. Sicher besteht die Gefahr, wie Stephan J. Kramer auf Seite 5 warnt, dass hinter der „Weihnukka“-Faszination der geheime Wunsch nach Assimilation der Juden steht – ein Irrweg, wie die Geschichte gezeigt hat.

Andererseits, und da mögen den Rabbinern und Bischöfen die Haare zu Berge stehen: In dieser Hinsicht können vielleicht die Vereinigten Staaten ein Vorbild sein, wo das Chanukka- und das Weihnachtsfest mittlerweile offenbar ganz friedlich nebeneinander, ja vermischt miteinander existieren und konsumiert werden. Und das alles mit einer religiösen Toleranz und Gelassenheit, die uns strengen Deutschen gut täte. Also lieber etwas weniger „deutsche Weihnacht“ als internationale „Weihnukka“. Das Leben ist zu kurz, die Sufganiot viel zu süß für religiöse Streitereien.

Wohl bekomm’s – LeChaim!