Dichtung und Wahrheit
Das Problem mit dem Patron

R. A. Schröder, in dessen Namen der Bremer Literaturpreis verliehen wird, spielte auch im NS-Staat eine wichtige Rolle
Die Dichtungen von Rudolf Alexander Schröder sind im Evangelischen Gesangbuch ebenso vertreten wie in den Liedersammlungen von SS und SA. Sein Beispiel demonstriert die Dehnbarkeit des Begriffs „Innere Emigration“

Das Banner fliegt, die Trommel ruft, vom Schritt der Heere dröhnt die Luft, sie stäubt von Roßeshufen. Ihr Kind und Weiber, helf euch Gott, wir Männer sind da vorne not: der Kaiser [Führer], der Kaiser [Führer] hat gerufen. Sie haben uns schon klein geglaubt. Nun komme zehnfach auf ihr Haupt die Not, die sie uns schufen. Die Zeit ist reif und reif die Saat. Ihr deutschen Schnitter, auf zur Mahd: der Kaiser [Führer], der Kaiser [Führer] hat gerufen.Und zieht das dreiste Lumpenpack die alten Lügen aus dem Sack, drauf sie sich stets berufen, wir gerben ihm sein lüstern Fell, wir kommen wie Gewitter schnell: der Kaiser [Führer], der Kaiser [Führer] hat gerufen.

■ Aus: R. A. Schröder, „Heilig Vaterland“ (Insel Verlag, 1914). Einfügung in eckigen Klammern: Umdichtung durch Heinrich Spitta, 1936

Von Henning Bleyl

Der 26. Januar ist einer der wenigen Tage, an denen Bremen Jahr für Jahr bundesweite Aufmerksamkeit erfährt: Es ist der Geburtstag des Dichters Rudolf Alexander Schröder. Und deswegen der fixe Termin für die Verleihung des Bremer Literaturpreises. Die samt Förderpreis mit 26.000 Euro dotierte Auszeichnung, von Rudolf Walther Leonhardt in der Zeit als „renommierteste“ deutsche Literaturtrophäe nach dem Büchner-Preis bezeichnet, geht dieses Jahr an Clemens Setz und Roman Graf.

Auslober ist die Rudolf Alexander Schröder Stiftung. Sie hat die Aufgabe 1962 vom Bremer Senat übernommen, nachdem sich dieser durch die Aberkennung des eigentlich Günter Grass zugesprochenen Preises gründlich blamiert hatte. Mit ihrem Namenspatron hat die Stiftung allerdings selbst eine Altlast zu tragen – die in Gegensatz zur längst beliebt gewordenen Grass-Anekdote kaum problematisiert wird: Schröders Rolle und Rezeption im „Dritten Reich“.

Schröder, der aus einer alteingesessenen Bremer Patrizierfamilie stammt, ist unbestreitbar ein herausragender und vielseitiger Künstler. Als Dichter, Antiken-Übersetzer, Innenarchitekt, Maler und Mitbegründer des legendären Insel Verlags hat er bleibende Spuren hinterlassen, zudem gilt er als bedeutender Erneuerer des evangelischen Kirchenliedes. Etliche Schröder-Dichtungen wie „Abend ward, bald kommt die Nacht“ gehören nach wie vor zum Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs. Doch auch in anderen Liedersammlungen sind Schröders Texte prominent vertreten: Sein „Deutscher Schwur“ beispielsweise avancierte zu einer zentralen Hymne von HJ und SA.

Dieser Aspekt der Schröder’schen Wirkungsgeschichte wird nur sehr eingeschränkt zur Kenntnis genommen. Das NS-Regime habe Schröder 1935 „jedes Auftreten in der Öffentlichkeit untersagt“, heißt es in einer – immerhin vom Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland veröffentlichten – Biografie. Deswegen habe er Bremen verlassen und sich nach Bergen am Chiemsee zurückgezogen. Auch die Schröder-Stiftung, hinter der die Bremer Stadtbibliothek steht, betont in ihrem Internet-Auftritt Schröders „Innere Emigration“ und seine Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche. Beides trifft zu, zeigt aber auch die Dehnbarkeit des Begriffs „Innere Emigration“. Unerwähnt bleibt beispielsweise, dass Schröder als Autor des „Inneren Reichs“, einer bürgerlichen, aber strikt der „Führung des deutschen Volkes durch Adolf Hitler“ verpflichteten Zeitschrift, weiter publizierte – und 1938 mit einem großen Festakt im Bremer Rathaus bedacht wurde.

Es war ebenfalls ein 26. Januar: Schröders 60. Geburtstag, zu dem sich die Hautevolee der Hansestadt im Bremer Rathaus eingefunden hatte. Schließlich wurde Schröder eine herausragende Würdigung zu Teil: Ebenso, wie zu Ehren seines 75. Geburtstags 1953 der Bremer Literaturpreis ins Leben gerufen wurde, stiftete man dem Jubilar 15 Jahre zuvor die „Medaille für Kunst und Wissenschaft“. Sie wird seither als Bremens höchste Kulturauszeichnung verliehen.

Erster Gratulant Schröders war der SA-Gruppenführer und Regierende Bürgermeister Heinrich Böhmcker, wegen seiner Brutalität in den Saalschlachten der 30er Jahre als „Latten-Böhmcker“ bekannt. Nun ist klar, dass angesichts der Extrem-Bedingungen der NS-Diktatur nicht jeder Prominente für jeden angenommenen Preis und jede herzlich geschüttelte Gratulantenhand vorbehaltlos verantwortlich gemacht werden kann. Auffällig ist jedoch, dass diese Integration Schröders in das öffentliche Leben und die NS-Propaganda heute gern ignoriert wird.

Auf der Homepage der Schröder-Stiftung wird zwar ungeschönt über den national-konservativen Patriotismus des Dichters im Ersten Weltkrieg berichtet – er verfasste Werke wie „Deutsche Oden“ oder „Heilig Vaterland“ und tat als Zensor für das Deutsche Generalkommando Dienst. Außen vor bleibt allerdings die Präsenz seiner Texte in den Lesebüchern und Liedersammlungen der NS-Zeit, auch die entsprechenden Ehrungen.

Immerhin ist klar, dass „RAS“ kein Rassist war. Die Arier-Ideologie galt ihm als „Wonne aller Hohlköpfe“

Wer sich heute auf Spurensuche in Sachen Schröder macht, stößt auf zahlreiche Auslassungen und Widersprüche. Noch immer fehlt eine kritische Biographie, die auch die weniger rühmlichen Aspekte seines Wirkens – und seiner Rezeption – systematisch aufarbeitet. In gängigen Literaturlexika wird Schröders Haltung zum Ersten Weltkrieg als „liberal-national getönter Humanismus“ (Herbert Rösch) bezeichnet, dabei stellen gerade Schröders Verse wie der 1914, mit 36 Jahren, gedichtete „Deutsche Schwur“ ein Paradebeispiel für die unmittelbare Anschlussfähigkeit des bürgerlichen Patriotismus an die NS-Ideologie dar.

Ähnlich verhält es sich mit „Das Banner fliegt, die Trommel ruft“: Hier musste ein zwar wichtiges, aber eben auch nur einziges Wort geändert werden, um eine der verbreitetsten NS-Hymnen zu kreieren. Nachdem der ebenfalls „rufende“ „Kaiser“ durch „Führer“ aktualisiert worden war, fand die Hymne in nahezu alle einschlägigen Sammlungen vom „SS-Liederbuch“ über „Junge Gefolgschaft“ bis zu „Die Wehrmacht singt – Soldatenlieder mit Klavierbegleitung“ Eingang. Oft wurde sie sogar selbst zum Sammlungs-Titel.

Dieser größte Erfolg Schröders im „Dritten Reich“, das muss betont werden, war unfreiwilliger Natur: Den „Führer“ fügte nicht Schröder, der später deutlich unter den „immer finsterer werdenden Zeiten“ litt, sondern der Komponist Heinrich Spitta in den Kehrvers ein. Aber inwiefern sind die grobschlächtigen Propaganda-Reime der einzelnen Strophen (siehe Kasten) mit der „Einheit von klassischer Dichtung und christlichem Ethos“ kompatibel, für die Schröder etwa im „Kindler“ so belobigt wird? Schröders Werk gilt gemeinhin als die Synthese von humanistischer Tradition und protestantischer Gläubigkeit schlechthin – und fand in einigen Facetten nichtsdestoweniger seinen festen Platz in den täglichen Morgenfeiern der HJ. Transparenz über dieses Sowohl-als-auch herzustellen gäbe mehr Aufschluss über die Vitalität und Funktionsfähigkeit des „Dritten Reiches“, als es durch einseitige Entlastungen oder „Brandmarkungen“ möglich wäre.

Immerhin ist klar, dass „RAS“, wie Schröder in seiner Stiftung kurz und bündig genannt wird, kein Rassist war. Die „Arier“-Ideologie charakterisierte er als „Wonne aller Hohlköpfe“. Er versuchte, vergeblich, einer jüdischen Freundin zu helfen und formulierte in seiner berühmten Pfingstpredigt von 1945 in bemerkenswerter Deutlichkeit: „Was ist von unserer, der Christen Seite geschehen, um dem Blutwahn der mit den höchsten Ämtern und Titeln des Reiches Bekleideten zu entgehen? Gegenüber unserer eigenen, längst weltkundigen Schande haben wir die Augen zugekniffen.“

In Bezug auf Schröders Verknüpfungen mit dem „Dritten Reich“ blieben die Augen auch weiterhin zumeist geschlossen – die Öffentlichkeit ging mit dem Dichter weit weniger kritisch um als dieser mit sich selbst. Schröder galt nach 1945 als „großer alter Mann der Literatur“, man benötigte ihn als moralische Instanz, die die NS-Zeit völlig unbeschadet überstanden habe. Bundespräsident Theodor Heuss wollte Schröder mit „Land des Glaubens, deutsches Land“ zum Dichter der neuen Nationalhymne machen, T.S. Eliot und Albert Schweitzer schlugen ihn 1955 / 56 für den Literaturnobelpreis vor. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wählte Schröder zum Ehrenvorsitzenden. Daneben blieb er bis zu seinem 80. Geburtstag Vorsitzender der Bremer Literaturpreis-Jury.

Schröders „Deutscher Schwur“ avancierte zur Hymne von HJ und SA. Trotzdem sollte er nach dem Krieg die neue Nationalhymne dichten

Die in Schröders Ägide vorgenommenen Preisvergaben zeichnen sich dadurch aus, dass Autoren des Exils – in auffälligem Gegensatz zu denen der „Inneren Emigration“ – chancenlos blieben. Auch die Auszeichnung Paul Celans versuchte Schröder zu verhindern. Dass sie dann zeitgleich mit der Feier seines 80. Geburtstags erfolgte, empfand der Preis-Patron als persönlichen Affront.

Es scheint, dass Schröder dem nach ihm benannten Preis schon zu Lebzeiten nicht nur Nutzen gebracht hat. Und während sich die Literaturwissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten recht wenig mit dem Dichter beschäftigte, sind seine Verse in der rechtsradikalen Szene bemerkenswert präsent – wie man anhand diverser Nazi-Internetforen nachvollziehen kann.

Taugt Schröder noch als Patron des Bremer Literaturpreises? Angesichts der hier skizzierten politischen Ambivalenzen Schröders könne man die Frage durchaus stellen, sagt Barbara Lison, Bibliotheksdirektorin und Geschäftsführerin der Schröder-Stiftung. Über einen etwaigen Forschungsauftrag zur näheren Klärung müssten allerdings zunächst die Stiftungsgremien und letztlich der Senat entscheiden. Die Stiftung selbst verfüge über keinerlei Kapazitäten.

Immerhin wurde für die zur Zeit in Bremen stattfindende „Literarische Woche“, als deren Höhepunkt der Literaturpreis verliehen wird, bereits ein unfreiwillig prophetischer Titel gewählt: „Der Mann in der Krise“.