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Archiv-Artikel

Das schnelle Geld im neuen Stil

Vernetzte Kriminalität: Rezept- und Abrechnungsbetrug ist für das organisierte Verbrechen zu einem neuen Betätigungsfeld mit mafiösen Strukturen geworden. Krankenkassen, Apotheker- und Ärzteverbände in Hamburg stellen Task Force auf

„In kürzester Zeit einen Schaden von 500.000 Euro verursacht“

Von Sebastian Raabe

Falsche Rezepte, fingierte Abrechnungen und Millionenschäden für die Krankenversicherer: Die Stichwörter sind bekannt, der Schaden für das Gesundheitssystem ist enorm. Doch hinter den vermeintlichen Einzelfällen entdecken Experten immer öfter organisierte kriminelle Strukturen: „Das ist neu an diesen Fällen“, meint Frank Keller, Chefermittler der Techniker Krankenkasse (TK) und spricht von „vernetzter Kriminalität“.

Der Vorsitzende des Hamburger Apothekervereins, Jörn Graue, geht sogar noch weiter: „Das sind schon mafiöse Strukturen.“ Seit November fahndet eine von Verbänden und Krankenkassen aufgestellte Task Force nach vermeintlichen Betrügern (siehe Kasten).

In Hamburg stießen Kontrolleure mehrfach auf Unregelmäßigkeiten: So hatten dieselben Patienten in verschiedenen Apotheken bis zu mehrere tausend Euro teure Medikamente abgeholt. Zum Teil mit fingierten Rezepten, die mit gestohlenen Versichertenkarten erschlichen wurden. Profiteure des Betrugs sind mal die Apotheker, die die Arzneimittel nicht herausgaben und so doppelt abrechnen konnten, mal verkauften die Betrüger die Medikamente Gewinn bringend weiter.

„Es gibt viele Varianten“, erläutert Experte Keller. Seit Jahren ist der Leiter der Ermittlungsgruppe Abrechnungsmanipulation der TK mit seinen zehn Mitarbeitern bundesweit Betrügern auf der Spur. Details wollen Keller und Graue nicht nennen. Zum einen, um laufende Verfahren nicht zu gefährden, aber auch, um die Täter über die Erkenntnisse im Unklaren zu lassen.

Viele Apotheker haben kaum eine Chance, den Schwindel zu entdecken: „Das ist wie Falschgeld. Wenn sie nicht wissen, dass es falsch ist, sind sie unschuldig“, sagt Apotheker Graue. Insgesamt wurden nach ersten Schätzungen rund 200 Versicherungsnummern für die Taten in Hamburg benutzt. Dann flog der Schwindel auf. Zwei Ärzte und drei Apotheker sollen im großen Stil an Manipulationen teilgenommen haben.

Polizei und Staatsanwaltschaft durchsuchten Praxen und Geschäfte, beschlagnahmten kistenweise Unterlagen. Möglicherweise sind noch zwei weitere Apotheken in den Fall verwickelt, sagt Graue. Allein in Hamburg haben die Täter „in kürzester Zeit einen Schaden von 500.000 Euro verursacht“. Vermutlich liege der Betrag aber noch weit höher. Im kommenden Jahr soll es erste Anklagen geben.

Doch die Ermittler haben einen weiteren Verdacht: Im Land herumreisende Gruppen könnten sich im großen Stil Versichertenkarten besorgen: „Wir sind relativ sicher, dass es sich um organisiertes Verbrechen handelt“, sagt Graue. Ärzte oder Apotheker sind manchmal Komplizen – auch unfreiwillig: „Ich gehe davon aus, dass die mehr oder weniger zufällig da reingeraten sind.“ Es sei sogar möglich, dass manche Kollegen erpresst werden.

„99,5 Prozent der Apotheken sind sauber“, sagt Graue, doch den Betrug wollten die Hamburger Apotheker keinesfalls hinnehmen. Sie gründeten zusammen mit Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung die Task Force.

„Das Problem im System ist, dass das Grundprinzip auf Treu und Glauben basiert“, sagt TK-Ermittler Keller. Oft hätten Ärzte und Apotheker keine Möglichkeit zu überprüfen, ob ein Patient tatsächlich zu der vorgelegten Karte gehört. Ein Foto auf der Karte, da sind Graue und Keller einig, würde zumindest die Hemmschwelle für den Betrug erhöhen. Wie hoch der Schaden ist, der bundesweit durch Abrechnungsbetrügereien entsteht, will Keller nicht schätzen: „Das wäre Spekulation.“