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Archiv-Artikel

Aufruf zur Rentenbesinnung

Gewerkschaften und Sozialverbände warnen: Wer den Arbeitslosen die Rentenansprüche halbiert, raubt auch den Rentenkassen Geld. Und dann müssen die Steuerzuschüsse wachsen – oder die Rentenbeiträge steigen weit über 20 Prozent

VON ULRIKE WINKELMANN

Der DGB und mehrere große Sozialverbände fordern in einem weihnachtlich wohl platzierten Papier von der großen Koalition eine Umkehr in der Rentenpolitik. „Zu befürchten sind steigende Beiträge und sinkende Rentenleistungen,“ heißt es dort.

Durch die Maßnahmen, die sich die Koalition für 2006 und 2007 vorgenommen hat, würden die Rentner „von der Einkommensentwicklung abgekoppelt“, so die Diagnose von Deutschem Gewerkschaftsbund und den Sozialverbänden VdK, SoVD, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung und Volkssolidarität.

Erster Punkt: Die Regierung will 2007 die Rentenansprüche für Arbeitslose halbieren. Für Alg-II-Bezieher überweist die Bundesagentur für Arbeit (BA) dann nur noch den halben Satz an die Rentenkasse. Dadurch jedoch sinkt nicht nur die künftige Rente des heute Arbeitslosen. Der Rentenversicherung fehlen auch 2007 schon 2 Milliarden Euro, sagen die Verbände.

Dies verschärft das zweite Problem. Die Koalition behauptet in ihrem Koalitionsvertrag vom November: „Die Dynamik der Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt an die gesetzliche Rentenversicherung wird gestoppt.“ Die Steuerzuschüsse, die zusammen ein Drittel der Renten ausmachen, sollen also nicht weitersteigen. Dies aber, das sagen nicht nur die Verbände, führt dazu, dass der Rentenbeitrag von derzeit 19,5 Prozent weit stärker steigen muss als auf die im Vertrag vorgesehenen 19,9 Prozent.

Drittens warnen die Verbände, dass der geplante Einstieg in die Rente mit 67 ab 2012 „auf eine Kürzung der Renten“ hinausläuft – und zwar zumindest für die, die mangels Kraft und Qualifikation gar nicht so lange arbeiten können. Grundsätzlich müsse erst die Erwerbsbeteiligung der Älteren verbessert werden.

Auch die Großkoalitionäre haben freilich schon erkannt, dass ihr Vertrag ihnen widersprüchliche Aufgaben stellt. Wenn sie im kommenden Jahr zur Umsetzung schreiten, werden sie ihre Ziele daher sortieren müssen. Bei der Halbierung der Rentenansprüche für Arbeitslose wird es wohl bleiben. Denn hier lautet das erste Ziel, die BA zu entlasten, weil die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sinken sollen. Die Rentenkasse muss anders gefüllt werden.

Dass die Bundeszuschüsse schlicht nicht eingefroren werden können, wenn Rentenbeiträge weit über 20 Prozent vermieden werden sollen, wissen Union wie SPD auch schon. Renten-Staatssekretär Franz Thönnes (SPD) erklärte kürzlich, es stehe kein Datum im Vertrag. Sollte heißen: kommt so bald nicht.

Die „Rente mit 67“ wird erst 2007 heiß diskutiert werden, wenn dazu das Gesetz gemacht werden soll. Entlastet werden die Rentenbeiträge durch diese Maßnahme voraussichtlich übrigens nur um einen halben Prozentpunkt. Doch dass die Erwerbschancen der über 55-Jährigen dramatisch gesteigert werden müssen, ist auch schon vorher wahr. Voraussichtlich will die Koalition hierzu eine Art Bündnis mit Arbeitgebern und Gewerkschaften schmieden, das sicher das gebräuchliche Vokabular über die Fähigkeiten älterer Menschen verbreitern wird.

Ob’s hilft, hängt jedoch von der Arbeitsmarktlage ab. Denn, wie der Rentenexperte Bert Rürup sagt: Für die Demografie sind die Renten bereits ausreichend gekürzt worden. Das Problem ist jetzt „die Erosion der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung“.

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