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Archiv-Artikel

Party und stilles Gedenken

Mit offiziellen Feiern und Schweigeminuten erinnerten Regierungen und Bevölkerung an die Flutwelle vor einem Jahr

„Die Regierung veranstaltet eine fröhliche Gedenkfeier-Party, sie denkt nicht an die Gefühle der Menschen“

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

Laternen und Kränze treiben hinaus in die Andamanensee. Die Menschen am Strand halten weiße Rosen in den Händen, wischen sich die Tränen ab: Mehrere tausend hatten sich an verschiedenen Stränden entlang der thailändischen Südwestküste versammelt, um an die Opfer der Flutwelle zu erinnern. Buddhistische Mönche, muslimische Geistliche und christliche Priester beteten in teils gemeinsamen Zeremonien für die Verstorbenen. Girlanden zieren die Bäume nahe am Meer, Fotos der Toten oder Vermissten hängen zwischen Bündeln von Orchideen. Rund 5.400 Menschen starben in Thailand in der Flutwelle, etwa die Hälfte davon ausländische Touristen. Kenner der Region gehen jedoch davon aus, dass mindestens doppelt so viele Menschen ums Leben kamen. Am schwersten betroffen war die Touristenhochburg Khao Lak in der Provinz Phang Nga nördlich der Ferieninsel Phuket.

Ein Jahr später ist ein Teil derjenigen zurückgekommen, die ihre Lieben beim Tsunami verloren hatten; angereist sind sie unter anderem aus Deutschland, Österreich, Schweden und Großbritannien. Für viele, die sich zu dieser schweren Reise entschlossen haben, ist dies der beste Weg, mit ihrer Trauer fertig zu werden. Manche Opfer, die nach ihrer Identifizierung in einem thailändischen Tempel eingeäschert worden waren, sind anschließend in ihrer Heimat beerdigt worden. „Wir wussten nicht, was uns erwartet“, sagt ein Deutscher, der seinen Bruder verloren hat und damit die Gefühle vieler Angehöriger ausdrückt. „Aber besonders nach dem Tempelbesuch vorgestern haben wir jetzt das Gefühl, dass sich der Kreis geschlossen hat.“

Während einer von insgesamt sieben von der Regierung initiierten Gedenkfeiern gab Thailands Premier Thaksin Shinawatra gestern zu, dass das Land nicht auf eine Katastrophe solchen Ausmaßes vorbereitet gewesen sei. Er hoffe, so Thaksin, „dass alle Opfer in ihrem nächsten Leben glücklich sein werden“. Allerdings stießen die von der Regierung organisierten Feierlichkeiten nicht überall auf Gegenliebe: Zu pompös und unsensibel, lauteten die Vorwürfe. Kritiker hatten im Vorfeld zudem moniert, den Behörden ginge es hauptsächlich darum, den Tourismus wieder anzukurbeln.

Diese Einschätzung wies Suwat Liptapanlop, Vorsitzender des „Tsunami Commemoration Committees“ zurück: Die Gedenkfeiern seien einzig dazu da, an die Toten und Verletzten zu erinnern. Manche Bewohner der ursprünglich schwer zerstörten Fischerdörfer ließen sich trotzdem nicht überzeugen: „Die Regierung veranstaltet hier eine vergnügte Gedenkfeier-Party, sie denkt einfach nicht an die Herzen und Gefühle der Menschen, die ihre Lieben verloren haben“, kritisierte eine Bewohnerin von Ban Nam Khem in der Phang-Nga-Provinz gegenüber Journalisten. Sie und viele andere Einwohner des Fischerdorfes haben deshalb beschlossen, ihre eigene kleine buddhistische Feier abzuhalten – in aller Stille.

Chitladda Sornin, die Managerin eines wieder aufgebauten Strandresorts in der einstigen Touristenhochburg Khao Lak, glaubt zudem, dass die Katastrophe vor einem Jahr das Denken der Menschen beeinflusst hat. „Vor der Flutwelle war dieser Ort sehr populär, die Menschen haben nur an das Geld gedacht, das sie von den Touristen bekommen. Und nach der Welle hat sich alles total verändert, innerhalb von nur zehn Minuten“, so Chitladda gegenüber der taz. „Ich denke, sie haben etwas über das Leben gelernt und dass alles passieren kann.“

Dass die Menschen vieles unvorbereitet treffen kann, erklärte auch Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono während seiner Rede zum Tsunami-Jahrestag. Indonesien war das am schwersten betroffene Land: Allein in der Provinz Aceh an der Nordwestspitze Sumatras starben etwa 130.000 Menschen, mehr als 37.000 gelten offiziell noch als vermisst. „Unter einem blauen Himmel stehen wir hier als Gottes Kinder“, so Yudhoyono gestern. „Es war unter demselben blauen Himmel genau vor einem Jahr, als Mutter Erde ihre höchst zerstörerischen Kräfte entfesselt hat.“ Exakt um 8:16 Ortszeit, zu dem Zeitpunkt, als die Flutwelle die Provinz schüttert hatte, ertönte gestern die Sirene des neuen Tsunami-Warnsystems, gefolgt von einer Schweigeminute für die Opfer.

Stilles, meist persönliches Gedenken, auch in Sri Lanka, wo mehr als 30.000 Menschen ums Leben gekommen waren. Angeführt von Präsident Mahinda Rajapakse hielt die Regierung nur eine einzige offizielle Zeremonie ab: Allein in Peraliya an der Südküste waren mehr als 1.000 Menschen gestorben, als ein Zug von den Wassermassen überschwemmt wurde.