Knödels Lack ist ab

Gute Vorsätze: die taz-nord-Serie zum neuen Jahr (2). Heute: Wie Christian Wulff Niedersachsen auch 2006 mit angezogener Handbremse regieren, dafür aber Bundesoppositionsführer werden will

Von Kai Schöneberg

Es war ein hartes Jahr für Knödel. Anders als in den Regierungsjahren zuvor gab es kaum Proteste gegen den dauerlächelnden Ministerpräsidenten. Alles knallhart kalkuliert: Wegen der Landtagswahlen Anfang 2008 soll Ruhe in Niedersachsen einkehren, für den CDU-Smartie ist die Zeit der Sparhämmer lange vorbei. Dafür ging für den erfolgsverwöhnten Knödel schief, was nur schief gehen konnte. Vielleicht war der 22. Mai der schlimmste Tag überhaupt: Als die SPD nach den vergeigten Wahlen in Nordrhein-Westfalen Neuwahlen im Bund ankündigte, platzte sein Traum, doch noch als Kanzlerkandidat für die CDU anzutreten. Dabei hätte es nur noch ein paar Monate gebraucht, um Angela Merkel zu stürzen.

Ach ja: Knödel ist der neue Spitzname von Christian Wulff. Man könnte glauben, die verschnupft klingende Ministerpräsidentenstimme komme von einer chronischen Nebenhöhlenentzündung. In Wulffs Umfeld behauptet man hingegen, Deutschlands mittlerweile nur noch zweitbeliebtester Politiker spreche, als habe er einen Knödel im Mund.

Eigentlich fing das Jahr schon Weihnachten 2004 an, als die ersten Meldungen über VW-Nebeneinkünfte von SPD-Hinterbänklern über die Ticker liefen. Obwohl inzwischen Hartz, Volkert und andere über die VW-Affäre fielen, bleibt der Konzern in den Schlagzeilen. Offenbar verwechselt Wulff den VW-Aufsichtsrat mit einem CDU-Parteitag, auf dem sich unliebsame Kandidaten durch simples Hinterzimmer-Mobben abschießen lassen. Nicht so Aufsichtsratschef Ferdinand Piech, an dem sich Wulff wiederholt die Zähne ausbiss. „Gute Reise, Herr Ministerpräsident, ich weiß, Sie haben einen vollen Terminkalender“, hatte der Autopatriarch Wulff in einer Sitzung des Kontrollgremiums hämisch hinterhergeschnarrt, als Piech und die Arbeitnehmerseite gegen den „MP“ den neuen Personaldirektor Neumann durchgesetzt hatten. Statt Ruhe trägt der CDU-Grande so seit Monaten nichts als Krampf in den Konzern, weil er seine Rollen als Firmenlenker und Parteisoldat stetig verwechselt, zuletzt beim Sticheln gegen den Porsche-Einstieg. Jetzt hofft Wulff auf die VW-Hauptversammlung im Mai, bei der sich die Machtverhältnisse wegen des Ausscheidens einiger Aufsichtsratsmitglieder verschieben könnten.

Behutsamer als bislang dürfte der Ministerpräsident 2006 wegen handwerklicher Fehler agieren, die seine Truppe im Sommer einholten: Das Bundesverfassungsgericht kassierte im Juli die Regelung zur vorbeugenden Telefonüberwachung im Polizeigesetz von Wulffs innenpolitischem Kettenhund Uwe Schünemann (CDU). Kurze Zeit später fiel das von Wulffs Staatskanzlei verantwortete Mediengesetz vor dem Landesverfassungsgericht. Der Staatsgerichtshof in Bückeburg kritisierte, das allein gegen die SPD-Medienbeteiligungen verfasste Regelwerk sei nicht nur verfassungswidrig, sondern auch noch schlampig verfasst.

Auch sonst gab es Feuer an vielen Fronten: Der einstige Schwachpunkt der Regierung, Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP), hat die rote Laterne inzwischen an Lutz Stratmann (CDU) abgegeben, den bisweilen völlig überfordert wirkenden Wissenschaftsminister. „Das kann doch nicht alles sein, was wir zum Thema Studiengebühren vorliegen haben“, schwenkte ein hoher CDU-Funktionär im Herbst entrüstet ein Zeitungsinterview Stratmanns zum Thema Studiengebühren. Inzwischen hat Stratmann die Einführung faktisch verschoben und sämtliche Hochschulvertreter gegen sich aufgebracht, die Zahl der Studienanfänger sinkt bereits jetzt.

Auch in Niedersachsens Schulen wächst die Unzufriedenheit, wie die Staatskanzlei mit Sorge registriert. Der Krach über den Unterrichtsausfall zehrt an den Nerven wie die hohen Schulabbrecherzahlen. Laut Pisa-E ist Niedersachsen das Land, das am wenigsten für seine Problemschüler tut. Damit korrespondiert die im Land besonders hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Ergo: Auch 2006 wird Wulff mit angezogener Handbremse regieren. Der Etat scheint dank Schattenhaushalten konsolidiert, die „Eigenverantwortliche Schule“ mit stärkeren Rektoren soll umgesetzt, das bereits angefeindete neue Hochschulgesetz durchgepeitscht, die Eigenständigkeit der Stiftungshochschulen wieder zurückgeschraubt werden. Im Justizbereich ist ein Gesetz zur Belohnung kooperativer Straftäter durch so genannte „Deals“ geplant. Im Inneren wird im Frühjahr ein neuer Anlauf bei der vorbeugenden Telefonüberwachung gestartet.

Was bleibt? Weil in Berlin der Erzfeind SPD mitregiert, müssen nach Wulffs Ansicht jetzt die Landesfürsten für das Profil der Partei sorgen. Diese Rolle als parteiinterner Oppositionsführer könnte ihm noch Probleme bringen. Wulffs jüngste Vorstöße zum Schuldenpakt, zur Auflösung des Atomkonsenses, zur Föderalismusreform und zur Mehrwertsteuer zeigen aber, dass er den Traum von der Macht in Berlin nicht aufgegeben hat.