: Umzug oder Armut
Weil sie nicht billig genug wohnen, werden viele Hartz-IV-Empfänger unter Druck gesetzt. Oft müssen sie ihre Mehrkosten selbst zahlen
VON GESA SCHÖLGENS
Viele Hartz-IV-Empfänger in NRW müssen auch im nächsten Jahr ihre Mietkosten drastisch reduzieren. Seit Anfang des Jahres verschicken die Arbeitsgemeinschaften zur Grundsicherung Erwerbsfähiger (“Argen“) Aufforderungen zu einem Erörterungsgespräch. Schaffen es die Angeschriebenen nicht, in einer Frist bis zu sechs Monaten ihre Kosten zu senken, drohen Abzüge oder Umzüge. „Es stellt sich nun mal die Frage, welcher Wohnraum angemessen und zumutbar ist“, so Werner Marquis, Sprecher der Regionaldirektion NRW der Agentur für Arbeit. Entscheidend sei dabei nicht die Größe sondern der Mietpreis. Von Zwangsumzügen sei ihm aber bisher nichts bekannt. „Das Problem wird überschätzt. Auch die Ankündigungen der Mietervereine, nun müsste alle aus ihren Wohnungen raus, waren überzogen“.
Verbindliche Zahlen über betroffene Mieter gibt es bislang nur für einzelne Kommunen. Die Arbeitsloseninitiative Tacheles in Wuppertal schätzt, dass rund 43 Prozent aller Hilfeempfänger in NRW nicht angemessen wohnen. In Bochum etwa wurden bislang rund 1.000 Menschen angeschrieben. „Wieviele tatsächlich umziehen müssen, können wir noch nicht sagen“, sagt Stephan Kuckuk, Sprecher der Arge Bochum. Die Betroffenen müssen zunächst ihre Kosten plausibel begründen und versuchen, sie durch Gespräche mit dem Vermieter oder Untervermietung zu senken. „Für bestimmte Gruppen wie Schwerbehinderte können auch Ausnahmen gemacht werden“, so Kuckuk. In Oberhausen sind 1.700 Mieter noch einmal davon gekommen: „Umziehen musste keiner“, sagt Heribert Marseille, stellvertretender Geschäftsführer der Arge. In einigen Fällen konnten sogar die Vermieter überzeugt werden, die Mieten zu senken.
Nach dem Gesetz hat etwa ein alleinstehender Langzeitarbeitsloser in Bochum Anspruch auf 45 Quadratmeter Wohnfläche, die nicht mehr als 219 Euro kalt kosten dürfen. Den Kostenrahmen legt jede Stadt und Kommune mit Blick auf Wohnungsmarkt und Mietspiegel selbst fest. „Damit entzieht sie sich dem Einfluss der Mieter“, sagt Harald Thomé von Tacheles. Die Kosten seien häufig zu niedrig angesetzt. So hätten manche Städte eine Gesamtmiete festgelegt, in der die gestiegenen Nebenkosten gar nicht berücksichtigt würden.
Ob genügend billiger Wohnraum vorhanden ist, hängt von der Region ab. „Im Ruhrgebiet oder im ländlichem Raum ist der Wohnungsmarkt entspannter als im rheinischen Gebiet zwischen Köln, Bonn und Düsseldorf“, sagt Jürger Becher, Sprecher des Mieterbunds NRW. Am Rhein reichten die preiswerten Wohnungen nicht aus. Befürchtet wird auch eine mögliche Ghettoisierung, also die Entstehung von sozial benachteiligten Wohngegenden: „Hier sind auch die Vermieter gefragt. Es ist ja in ihrem Interesse, wenn die Wohnviertel gut durchmischt sind“, so Becher.
Zum Umzug gezwungen werden kann niemand. „Der Großteil macht es aber auch gar nicht“, so Thomé. Stattdessen glichen die meisten die Differenz mit ihrem kargen Regelsatz aus – „dadurch verelenden sie immer mehr und entziehen sich dem Arbeitsmarkt noch weiter“. Die Argen sind verpflichtet, die Umzugs- und Endrenovierungskosten zu übernehmen. „Viele Behörden informieren aber gar nicht darüber“, so Thomé. Zudem vergingen manchmal Wochen, bis die Ämter einer Wohnung zustimmen.