: Das kleine Hartz-ABC
Von „Arbeitsmarkt“ bis „Verrechnet: Bilanz der Agenda 2010 nach einem Jahr „Hartz IV“ in Nordrhein-Westfalen
● 1. Januar 2005: Start von Hartz IV. Sozial- und Arbeitslosenhilfe werden zusammengelegt. Arbeitsfähige Menschen sollen gefördert und gefordert werden. Fehlerhafte Computerprogramme, politische Fehlkalkulationen und Schlampigkeit verzögern die Auszahlung der Leistungen. Laut Stiftung Warentest mussten 45 Prozent der Empfänger länger als vier Wochen auf die Antragsbearbeitung warten, bei mehr als 50 Prozent waren Unterlagen verschwunden.
● Arbeitsmarkt: Einer aktuellen Studie zufolge sind große Teile der Arbeitsmarkt-Reformen gescheitert oder verursachten sogar mehr Arbeitslosigkeit. Ende November waren in NRW 1,027 Millionen Arbeitslose gemeldet. Durch Hartz IV werden seit 2005 rund 150.000 frühere Sozialhilfeempfänger als Erwerbslose gezählt. Im November stieg die Arbeitslosigkeit nicht an. Gründe sind weniger Hartz-IV-Empfänger und eine leicht erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften.
● Bedarfsgemeinschaft: Eigentlich ein Haushalt, der von Arbeitslosengeld II (ALG II) lebt. Nach der Definition von NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU): Schnorrende Jugendliche, die sich auf Kosten der Allgemeinheit massenhaft eigene Wohnungen verschaffen, statt bei Mutti zu wohnen. In NRW sinkt aber der Anteil der Bedarfsgemeinschaften, in denen nur eine Person lebt.
● Beratung: Nach den Hartz-Gesetzen können die Städte und Kreise die Betreuung der Jobsuchenden selbst übernehmen. Leider gibt es in NRW zu viele Arbeitslose. Bei den Arbeitsagenturen herrscht Personalmangel, der Schlüssel von einem Berater auf 150 Kunden ist noch immer nicht erreicht.
● Einbußen: Laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung haben 53 Prozent der früheren Arbeitslosenhilfe-Bezieher durch Hartz IV im Schnitt 238 Euro weniger im Portemonnaie. 47 Prozent, vor allem jüngere, stehen besser da, sie haben durchschnittlich 107 Euro mehr. Viele kritisieren das System als ungerecht. So bekommt der Schulabgänger genauso viel wie der 50-Jährige, der 20 Jahre lang gearbeitet hat.
● Ein-Euro-Jobs: Sie pflegen alte Menschen oder säubern die Straßen: Ein-Euro-Jobber dürfen zwar keine regulären Arbeitsplätze verdrängen – sie tun es aber doch, klagt die Wirtschaft. Nach sechs Monaten wird jeder Ein-Euro-Jobber abgelöst. Insgesamt gingen in NRW Ende Oktober 35.200 ALG-II-Empfänger Zusatzjobs nach, um Einkommen und Integrationschancen zu verbessern.
● Ich-AG: Erfolgreich verlief die Förderung der Selbständigkeit. Seit Anfang 2003 bis Ende September diesen Jahres wurden in NRW 53.750 Arbeitslose mit einem Existenzgründungszuschuss unterstützt. Bei 35 Prozent wurde die Förderung beendet, die Hälfte davon konnte aber wieder Arbeit finden. Eigentlich sollten die Ich-AGs Mitte 2006 abgeschafft werden. Die große Koalition denkt nun darüber nach, sie mit dem Überbrückungsgeld zusammenzulegen.
● Klagen: Auf die NRW-Sozialgerichte rollt eine Klagewelle zu. Statt der kalkulierten 5.000 Fälle sind seit Januar inzwischen über 14.000 Verfahren anhängig. Für 2006 wird nochmals ein Anstieg erwartet. Die geschätzten Zusatzkosten betragen jährlich rund 2,5 Millionen Euro. Die meisten Klagen beziehen sich auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf das ALG II.
● Kommunen: Die angepeilte Entlastung der NRW-Kommunen durch die Hartz-IV-Reformen um 450 Millionen Euro kann knapp erreicht werden. Probleme haben Gemeinden mit wenigen Sozialhilfeempfängern: Für sie ist Hartz IV teuer, weil sie über eine Umlage die Kosten in anderen Kommunen mitzahlen müssen.
● Langzeitarbeitslose: Wirkungslos sind die Maßnamen für ältere Jobsuchende und Langzeitarbeitslose. In NRW sind derzeit 436.650 Menschen länger als ein Jahr arbeitslos, etwa 55.000 mehr als 2004.
● Verrechnet: Ex-Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement hatte prognostiziert, Hartz IV werde 2005 rund 25,6 Milliarden Euro kosten. Tatsächlich waren es rund 37,83 Milliarden. GESA SCHÖLGENS