: Stillstand auf der Sonneninsel
Neue Dynamik für die Zypernfrage hatten die Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei versprochen. Passiert ist bisher wenig – dabei hat Brüssel viele Möglichkeiten
Gerade hat der UN-Sicherheitsrat seine Friedensmission auf Zypern um sechs Monate verlängert und zugleich bedauert, dass eine neue Verhandlungsrunde über die Wiedervereinigung der geteilten Insel gegenwärtig nicht sinnvoll erscheint. Tatsächlich ist kaum Bewegung im Friedensprozess zwischen den griechischen und den türkischen Zyprioten – dabei eröffnen die im Herbst begonnenen Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei neue Möglichkeiten auch für die Zypernfrage. Die türkische Regierung könnte erneut eine kompromissbereite Politik zur Lösung des Zypernkonflikts an den Tag legen. Und die EU sollte endlich aktiver werde. Denn die EU musste erleben, welches Störpotenzial in der Teilung der Mittelmeerinsel liegt: Viele Wochen lang behinderte die Zypernfrage die Entscheidung über den Beginn der Türkei-Verhandlungen.
Die Fragen, die dabei im Mittelpunkt standen, werden wieder aktuell werden: Da ist zu einem die Tatsache, dass die Türkei die international anerkannte Republik Zypern völkerrechtlich nicht als Vertretung ganz Zyperns akzeptiert. Tatsächlich vertritt deren Regierung nur die griechischen Zyprioten. Die türkischen Zyprioten haben bisher keinerlei Wahlrecht für die Organe der Republik Zypern. Die Verfassung der Republik ist außer Kraft gesetzt. Zweiter Streitpunkt ist, dass die Türkei griechisch-zypriotischen Schiffen und Flugzeugen keine Landung in Häfen und Flughäfen ihres Landes erlaubt, obwohl die EU das als einen notwendigen Bestandteil der Zollunion zwischen der EU und der Türkei ansieht.
Hätten die griechischen Zyprioten vergangenes Jahr dem von der UNO vorgelegten Plan zur Wiedervereinigung Zyperns nicht abgelehnt, wären diese Probleme längst gelöst. Würde jetzt eine Wiedervereinigung gelingen, auch. Allerdings bringen diese Themen – „Anerkennung“ und freier Zugang griechisch-zypriotischer Schiffe und Flugzeuge zur Türkei – eine Wiedervereinigung nicht einen Schritt näher. Schlimmstenfalls wird so die selbstgerechte Haltung der griechisch-zypriotischen Regierung gestärkt. An deren Nein ist im vergangenen Jahr die Wiedervereinigung gescheitert, während die türkischen Zyprioten dem Annan-Plan zustimmten, den auch das EU-Parlament als „historischen Kompromiss“ begrüßt hatte.
Es wäre jetzt an der Zeit, dass sich die EU dem zugrunde liegenden Problem, der fortdauernden Teilung Zyperns, annimmt. Die UNO hat im Juni zu Recht festgestellt, dass die Positionen der beiden Seiten auf Zypern zu unterschiedlich und das Misstrauen zwischen ihnen gegenwärtig zu groß sind, um jetzt neue Verhandlungen über eine umfassende Lösung beginnen zu können. Worauf es deshalb ankommt, ist erst einmal Vertrauen zu bilden.
Die griechisch-zypriotische Regierung geht allerdings Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Präsident Papadopoulos weigert sich, mit seinem türkisch-zypriotischen Widerpart Mehmet Ali Talat auch nur informell zu reden. Dabei ist Talat ein Anhänger der EU und der Wiedervereinigung und hat wesentlich dazu beigetragen, dass sein nationalistischer Vorgänger Rauf Denktasch isoliert auf dem Altenteil sitzt.
Für die EU reicht es unter diesen Bedingungen nicht aus, einfach die UNO aufzufordern, die Verhandlungen zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken wieder in Gang zu setzen. Zwar können letztlich nur solche Verhandlungen unter der Ägide der UNO zu einer Wiedervereinigung der Insel führen. Aber solange sich das politische Klima auf der Insel nicht ändert, wird sich UN-Generalsekretär Annan hüten, sich erneut an Zypern die Finger zu verbrennen.
Zur Klimaveränderung jedoch können und müssen die EU-Institutionen – Kommission, Rat und Parlament – ebenso beitragen wie die einzelnen EU-Staaten. Im EU-Rat können die griechischen Zyprioten zwar mit ihrem Veto Entscheidungen verhindern. So weigern sie sich seit über einem Jahr, die Vorschläge der EU-Kommission zur Beendigung der ökonomischen Isolierung der türkischen Zyprioten abzusegnen. Aber die EU ist nicht dazu verurteilt, Geisel der griechischen Zyprioten zu sein. So konnte sich etwa Papadopoulos im Europäischen Rat nicht mit seiner Forderung durchsetzen, die Anerkennung der griechisch-zypriotischen Republik zur Voraussetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu machen. Stattdessen muss dieses Thema „im Beitrittsprozess“ gelöst werden. Und dieser Prozess endet erst mit dem Ende der Beitrittsverhandlungen in frühestens 10 bis 15 Jahren. Im EU-Parlament ist zudem eine „Kontaktgruppe Türkische Zyprioten“ eingerichtet worden.
Aber dies ist bei weitem nicht genug. Zu einer aktiven EU-Zypernpolitik gehören ernsthafte Anstrengungen, um den griechisch-zypriotischen Widerstand gegen die Beendigung der Isolierung der türkischen Zyprioten zu überwinden. Gelingt das, wäre auch ein anderes Problem aus dem Weg geräumt: Die Türkei hat erklärt, dann sofort alle Beschränkungen für griechisch-zypriotische Schiffe und Flugzeuge in türkischen Häfen und Flughäfen aufzuheben.
Auch sollte ein spezieller „Zypern-Versöhnungsfonds“ der EU eingerichtet werden, der Maßnahmen wie die Einführung des obligatorischen Sprachunterrichts in beiden offiziellen Landessprachen für alle Schüler an weiterführenden Schulen und die Organisation eines gemeinsamen zypriotischen Olympischen Teams für die Olympischen Spiele 2008 fördert. Ein hochrangiger EU-Sonderbeauftragter für Zypern sollte durch die EU-Kommission und den EU-Rat ernannt werden. Repräsentanten der Zyperntürken gehören, zumindest als Beobachter, ins Europaparlament. Denn die zwei Sitze im Europäischen Parlament, die den türkischen Zyprioten zustehen, werden gegenwärtig von griechischen Zyprioten besetzt. Schließlich sollte das Europäische Parlament einen Bericht zum Zypernkonflikt verfassen, in dem eine „europäische Sicht“ für eine Lösung entwickelt wird.
Der UN-Generalsekretär hat die griechisch-zypriotische Regierung aufgefordert, „eine Liste mit klar definierten, begrenzten, handhabbaren und in sich gewichteten Vorschlägen“ zu den von ihr gewünschten Änderungen am Annan-Plan vorzulegen. Die EU muss diese Aufforderung unterstützen, die griechischen Zyprioten zu Realismus und alle Seiten zu Kompromissbereitschaft animieren.
Alle Seiten sollten aufgefordert werden, militärische Entspannungsmaßnahmen durchzuführen: Die Türkei könnte tausende ihrer auf Zypern stationierten Soldaten abziehen, die griechischen Zyprioten könnten ihren Wehrdienst reduzieren, beide Seiten sollten groß angelegte Militärübungen auf Zypern absagen.
Ein Erfolg solch einer aktiven EU-Zypernpolitik ist nicht garantiert. Aber es stünde der EU als „Möchtegern-Globalplayer“ gut an, einen ethnischen Konflikt in ihrem Hinterhof lösen zu helfen, wenn sie sich gleichzeitig im Balkan und im Nahen Osten für friedliche Konfliktlösungen engagiert. JERRY SOMMER