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Archiv-Artikel

Alten Recken packt die Schießwut

DAMPFPLAUDEREI Ein ehemaliger ranghoher Polizist schwadroniert über den „finalen Rettungsschuss“

Martin Textor kann gut erzählen. Informativ, unterhaltsam und bisweilen schnurrig sind die Geschichten des langjährigen Chefs der Spezialeinheiten der Berliner Polizei. Am Dienstagabend lässt er in den Räumen der Polizeihistorischen Sammlung alte Kriminalfälle Revue passieren: den des Kaufhaus-Erpressers „Dagobert“, die legendären Lankwitzer Tunnelräuber und einen verwirrten Geiselnehmer, der einst auf dem U-Bahnhof Kottbusser Tor einen kleinen Jungen stundenlang in seiner Gewalt hatte.

Im zweiten Teil der Veranstaltung wird es plötzlich seltsam als Textor mit seinem Publikum über den so genannten „Finalen Rettungsschuss“, den gezielten Todesschuss, und das gesetzliche Folterverbot diskutieren möchte. Textor ist wahrlich kein Schlagetot, doch nun auf einmal plädiert er für den gezielten Todesschuss! Der ist hoch umstritten, aber dennoch außer in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin längst in den Polizeigesetzen verankert. „Seit 100 Jahren ist das auch hier schon meine Forderung“, sagt Textor, „wir sind eine Bundesrepublik“. Und wenn die Politik schon Spezialeinsatzkommandos für gefährliche Lagen einrichte, müsse sie ihr auch die gesetzlichen Grundlagen geben. „Wenn ein Täter flieht, darf ich auf ihn schießen.“

Noch abstruser wird es, als er den Fall „Daschner/Gäfgen“ auf den Plan ruft. Der frühere Frankfurter Polizeivizepräsindent hatte dem Kindesentführer und Erpresser Magnus Gäfgen die Zufügung „schwerer Schmerzen“ angedroht wenn er das Versteck seines Opfers nicht verrate und war hierfür wegen Folterandrohung verurteilt worden. Immerhin will Textor hier keine Gesetzesgrundlage, sondern meint nur: „Hier ist unser Recht nicht gerecht.“ Das Publikum will zwar darüber nicht diskutieren, applaudiert aber heftig.

Zum Glück rückt der pensionierte Lehrer für Politische Bildung an der Berliner Polizeischule, Harold Selowski, die Sache wieder einigermaßen zurecht und verweist auf die historische Belastung solcher Positionen durch den Nationalsozialismus. Gut so! OTTO DIEDERICHS