„Ich habe kein Vertrauen mehr“

MEDIZIN Mit einer Anhörung am Dienstag will der Europarat den Schweinegrippe-Hype ausleuchten. Der Gesundheitsexperte Wolfgang Wodarg erklärt die Gründe für den Schritt

■ Der SPD-Politiker, 62, sitzt dem Unterausschuss Gesundheit der parlamentarischen Versammlung des Europarats vor.

INTERVIEW KATJA SCHMIDT

taz: Herr Wodarg, Sie haben zur Schweinegrippeimpfung eine Anhörung im Europarat angeregt. Wird die öffentlich?

Wolfgang Wodarg: Ja, zuerst hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gesträubt – jetzt sagt sie, sie wolle das natürlich öffentlich machen.

Wer wird gehört?

Vertreter der WHO sowie der Pharmaindustrie. Der Epidemiologe Ulrich Keil und ich nehmen als Experten teil.

Auf welche Fragen wollen Sie Antwort?

Wir wollen verstehen, wie es dazu kam, dass die WHO plötzlich die Schwelle vor der Ausrufung einer Pandemie so herabgesetzt hat, dass eine ganz normale Grippewelle zum Alarm führen konnte. Und wir wollen wissen, wie das mit Verträgen zwischen Regierungen und Pharmaindustrie zusammenhing, die in Kraft treten mussten, sobald die WHO eine Pandemie ausruft. Weltweit ist so Impfstoff für rund 20 Milliarden US-Dollar verkauft worden.

Haben Sie eine Vermutung?

Es stinkt danach, dass die Industrie Einfluss auf die WHO genommen hat. Dass es sich um einen echten Fehlalarm handelt – dafür gibt es wissenschaftliche Belege. Schon 2005/06 bei der Vogelgrippe war es ähnlich – die wurde nie von Mensch zu Mensch übertragen. Jetzt erleben wir, dass die Schweinegrippe weit weniger Schaden anrichtet als jede normale Grippewelle.

Gibt es überhaupt die Gefahr schwerer Grippepandemien?

Schwere, tödliche Ausbrüche begrenzen sich eher selbst. Die Krankheit breitet sich nicht so leicht aus, weil ihre Opfer darniederliegen und die Infektion nicht in Büro, Schule oder U-Bahn streuen können. Die Gefahr ist so theoretisch, so unwahrscheinlich, dass wir andere Risiken hätten, auf die wir die Kraft unseres Gesundheitssystems eher konzentrieren sollten. Und bedenken Sie: Selbst die Ausbreitung schwerer und tödlicher Viruserkrankungen wie Sars und Ebola konnten ohne Impfstoff eingedämmt werden.

Was macht Regierungen anfällig für den Grippe-Hype?

Genau das wollen wir untersuchen. Viele nationale Institute, die Regierungen beraten, haben offenbar nach der Pfeife der Leute getanzt, die in der WHO das Sagen haben. Es sind bestimmte Virologen, die seit Jahren die Grippegefahr beschwören. Wir fragen uns, ob es eine langfristige Strategie gab, ob die Institute gemeinsame Sache mit der Industrie gemacht haben. Oder ob sie sich nur in den Vordergrund spielen wollten. Profitiert haben auch sie: Sie sind wichtig geworden, haben neue Stellen und Geld bekommen.

Könnte es nicht sein, dass Regierungen zu anfällig für Wachstums- und Arbeitsplatzversprechen der Pharmaindustrie sind?

Das mag ein Faktor sein. Aber eine wichtige Rolle scheint die wissenschaftliche Politikberatung zu spielen.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Bundestag? Müssten seine Abgeordneten die Impfung kritischer hinterfragen?

Natürlich. Ich habe kein Vertrauen mehr in unser Robert-Koch- und das Paul-Ehrlich-Institut. Wir müssen klären, wie es kommt, dass auch sie Grippegefahren verkünden, für die es keine Evidenz gibt.

„Es sind bestimmte Virologen, die seit Jahren die Grippegefahr beschwören“

Sie saßen lang im Gesundheitsausschuss – wird da so was diskutiert?

Ich habe das versucht. In den Instituten und vom Ministerium wurde ich höflich abgepuffert.

Die SPD hat die Pandemievorsorge in der Regierung mitgetragen …

Ja, das entsetzt mich.

War Ihre Partei zu blauäugig?

Man muss unterscheiden zwischen der Partei und bürokratischen Apparaten. Aber klar: Ministerin und Staatssekretäre tragen Verantwortung. Die hätten besser auf Kritiker wie mich hören sollen, dann hätten sie viel Geld gespart.