: Unruhig, suchend
An seine Wahl knüpften sich Hoffnungen der Konservativen – und das war im Jahre 1999, als Udo Di Fabio zum Richter am Bundesverfassungsgericht gewählt wurde. Die Erwartungen waren geknüpft an die Idee, dass dieser Mann – habituell eher das Gegenteil eines trockenen Juristen, vielmehr munter, aufgekratzt, im besten Sinne Streit suchend – dem, aus Sicht der Konservativen, wie eh und je dominierenden Zeitgeist nach Art der Achtundsechziger etwas Gehaltvolles entgegensetzen würde. Und seit einigen Monaten liegt dieses Vademekum tatsächlich vor. „Die Kultur der Freiheit“ ist es betitelt, was auf dem Cover begleitet wird von einem Zitat: „Der Westen gerät in Gefahr, weil eine falsche Idee der Freiheit die Alltagsvernunft zerstört.“ Was der Autor, der die knapp dreihundertseitige Schrift zu einem Drittel weitab von seiner Familie auf Mallorca fertigte, zu sagen hat, ist von allen Seiten heftig bestritten worden: Die einen mokierten sich über das eindeutige Ja zur Verwestlichung Deutschlands, auch zur positiven Bestimmung dessen, was die Rechte des Individuums anbetrifft. Zugleich hielt man ihm vor nicht hinreichend systematisch die Idee des Gemeinsinns (und seiner Zwänge) vom Recht der Freiheit (des Individuums) getrennt zu haben: Udo Di Fabio, so lässt sich für diese Passagen bündeln, kann nicht angeben, was er politisch zu initiieren gedenkt, wenn nicht passiert, was er sich glühenden Herzens wünscht: dass Männer und Frauen häufiger heiraten und, wichtiger noch, gemeinsam verantwortlich Kinder in die Welt setzen.
Di Fabio weiß dies auch auf Nachfrage nicht zu präzisieren, weil er es auch nicht wolle. Vielmehr gehe es ihm um eine Stimmung, die Kinder nicht mehr als ökonomisches Kalkül nehme, sondern als willkommenes Geschenk – als Figuren der Traditionsstiftung wie auch natürliche Teile einer Familie, zu der Kinder einfach gehörten. Im Gegensatz zu bevölkerungspolitischen Aspirationen, die den Zwang zum Kinderkriegen nur suggerieren, verwahrt sich Di Fabio gegen jede Form der individuellen Nötigung im Hinblick auf das Lebensmodell, das ihm vorschwebt: Alles gehe nur freiwillig – und sei auch durch Geld, also staatliche Subventionen in Form von Elterngeldern, nicht wahrhaftig beförderbar. Im Übrigen darf Di Fabios Buch, wenn man möchte, auch als camouflierte wie hinreißende Liebeserklärung an seine eigene Familie, an seine Frau wie an seine vier Kinder, gelesen werden: Der Jurist und Soziologe lebte selbst bis in seine späten Dreißiger wie der klassische Mann der Post-Achtundsechziger-Ära. Ein gutes Dutzend Jahre später ist von diesem Single-ohne-Kinder-Dasein nichts mehr übrig geblieben: Di Fabio lebt im bürgerlichen Bonn und arbeitet am höchsten Gericht in Karlsruhe – die innerfamiliäre Arbeitsteilung ist nach seinen Angaben mit seiner Frau ausgehandelt. Sie habe nach innen die Regentschaft kraft ihres Alltagsmanagements, beide aber verträten ihre Familie nach außen – mit der Pointe, dass Di Fabio sich als tätiger Vater versteht, nicht zunächst nur als Ernährer.
Wo seine Heimat läge, weiß Di Fabio akkurat zu benennen: dort, wo er mit seiner Familie lebt. Unüberhörbar ist aber die Färbung seiner Sprache – sie klingt lupenrein nach Ruhrpottslang. Und Di Fabio, spricht man ihn darauf an, ist stolz auf diese Herkunft: Das sei die Sprache, in der er sich geborgen fühle. Das Idiom entscheide für ihn auch, ob er einen Menschen als Nachbarn, als, aus seiner Perspektive, Landsmann erkenne. Er habe einmal ein schwarzafrikanisches Paar gesehen – und es ohne böse Absicht als ausländisch identifiziert. Als beide aber anfingen, im rheinischen Dialekt zu sprechen, so Di Fabio, waren sie für ihn Deutsche wie andere auch. Intellektuell ist er besonders ambitioniert, mit der Linken ins Gespräch zu kommen. Gut getroffen, wenn auch missverstanden, fühlte er sich durch einen Essay Micha Brumliks in den Blättern für deutsche und internationale Politik – eine scharfe und keineswegs stammtischgemütliche, selbstgewisse Schrift gegen die Thesen des Verfassungsrichters. „Das habe ich mit großer Spannung gelesen. Das sind die Debatten, auf die ich hinauswollte.“ JAF