Zurück in der Realität

Nach dem misslungenen Auftakt der Vierschanzentournee betreiben die deutschen Skispringer Ursachenforschung, schreiben den Gesamtsieg bereits ab und drücken nun Jakub Janda die Daumen

AUS OBERSTDORFKATHRIN ZEILMANN

Zum Glück für Michael Uhrmann bleibt bei der Vierschanzentournee wenig Zeit, um trüben Gedanken nachzuhängen. Kaum ist der erste Wettkampf absolviert, müssen die Koffer gepackt werden. Es geht weiter nach Garmisch-Partenkirchen, dazwischen sind noch ein paar Medientermine und Trainingseinheiten zu absolvieren. Sein neunter Platz zum Auftakt in Oberstdorf ist eine Enttäuschung, so sieht er es selbst, so sieht es auch sein Trainer Peter Rohwein. Aber die Chance zur Verbesserung bietet sich schon am Neujahrstag in Partenkirchen. Sie sind mit großer Euphorie und riesigem Selbstvertrauen in die Tournee gestartet, um später zu erkennen, dass sie sich zu früh gefreut haben. „Einen Podestplatz kann man nicht einplanen“, erkannte Rohwein. „Ich bin enttäuscht, weil die Erwartungen groß waren“, sagt Uhrmann.

Die Ursachenforschung hat er noch am Abend in Oberstdorf gemeinsam mit Co-Trainer Henry Glass betrieben. Sie haben sich seine Sprünge auf Video noch einmal angeschaut. „Ich habe im Eifer des Gefechts im zweiten Sprung einfach zu viel verändern wollen“, sagt Uhrmann. Wie Änderungsmechanismen auch im ausgefeiltesten Sprungsystem noch erfolgreich sein können, hat Janne Ahonen vorexerziert. Der Finne hat den Tourneeauftakt gewonnen und schickt sich an, seinem vierten Tourneesieg entgegenzufliegen. Nach verpatztem Qualifikationssprung wechselte er Anzug und Skier und entschloss sich für eine andere Absprungvariante. „Natürlich war das riskant. Aber mir war klar, dass ich was ändern müsste“, erläutert Ahonen, als wären derartige Variierungen das Selbstverständlichste im Skispringen. Dabei weisen Trainer und etliche Athleten immer wieder darauf hin, dass es eine langwierige und zeitaufwändige Angelegenheit ist, nur Nuancen bei Technik und Material zu ändern. Bei Ahonen funktioniert das über Nacht. Weil die Leistung des Finnen im Skisprung-Zirkus zwar respektiert wird, er aber wegen seiner Verschlossenheit und seiner beängstigenden Konstanz nie zum guten Kumpel der anderen werden wird, fände die deutsche Mannschaft den in Oberstdorf drittplatzierten Jakub Janda als Gesamtsieger geeigneter. „Er kann es am ehesten schaffen“, glaubt Uhrmann. Rohwein prophezeit: „Es wird kein Alleingang für Janne Ahonen. Da werden die anderen was dagegen haben.“

Euphorie und Siegeswille allein genügen nicht, um bei der Tournee in die Sphären eines Ahonen oder eines Janda zu springen. „Michael war nicht so locker. Man gewinnt einen Weltcup nicht eben mal schnell“, sagt Rohwein, der aber froh sein kann, dass Uhrmann sich auf hohem Niveau halten kann, zieht man als Vergleich Martin Schmitt heran. Lange hat Rohwein seine schützende Hand über den vierfachen Weltmeister gehalten, der seit Jahren um gute Resultate ringt. Nach Rang 24 in Oberstdorf bekundete Schmitt, dass er „nicht ganz unzufrieden“ sei und froh, überhaupt das Finale erreicht zu haben. Die Maßstäbe des ehemaligen Siegspringers haben sich offenbar gewandelt. Rohwein gefällt diese Haltung nicht: „Es ist schwierig, mit Martin zu arbeiten. Immer, wenn du denkst, er hat sich stabilisiert, gibt es wieder einen Schritt zurück. Es ist ein ständiges Hin und Her.“ So deutlich ist Rohwein in der Causa Schmitt noch nie geworden.

Uhrmann hat währenddessen die Ergebnisliste intensiv studiert und festgestellt: „Es sind einige vor mir, von denen ich denke, dass ich sie noch einholen kann.“ Das also sind die neuen Ziele. Die Gesamtwertung, auf die er geschielt hat, erwähnte er nicht mehr. Die Träume, die Uhrmann und sein Trainer mit der Öffentlichkeit teilten, waren wohl zu hochfliegend. Vor drei Jahren erklomm der mittlerweile zurückgetretene Sven Hannawald zuletzt das Siegerpodest bei der Tournee, er wurde Zweiter. Seitdem holte der in Oberstdorf auf Rang sieben gelandete Georg Späth zwei dritte Plätze in Garmisch-Partenkirchen, erfolgreichere Resultate gab es nicht zu verbreiten. Uhrmanns bisherige Podestränge haben Sehnsucht nach neuen goldenen Zeiten wachsen lassen, vielleicht aber auch Übermut. Rang neun in Oberstdorf sei „kein totaler Beinbruch“, erklärt Uhrmann – und sieht das Resultat wohl als Rückkehr in die Realität.