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Archiv-Artikel

Sexy Kopfgeldjäger

Arschcool: Keira Knightley spielt in Tony Scotts Film „Domino“ die Kindfrau mit der Wumme zwischen all den harten Kerlen mit den weichen Herzen

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Domino Harvey ist Kopfgeldjägerin. Anfang zwanzig, aus Beverly Hills, angeödet von der Welt der Reichen und Schönen, sucht sie den Thrill, das wahre Leben – und das gibt’s für sie nur via gesteigertes Risiko. Sie hat die Münze zu ihrem Totem erkoren – Kopf oder Zahl, Leben oder Tod. Die Kippe im Mundwinkel, die Baggypants unter den Hüftknochen, das Tank Top knapp, die Schrotflinte in den Händen und dann mit einem Stiefeltritt durch die nächste Tür: So cool, so arschcool und dabei so sexy hat man sich die bewaffnete Geldeintreiberei noch selten vorzustellen gewagt.

Schelmisch zwinkert der Vorspann: „Nach einer wahren Geschichte. Irgendwie“. Dem Irgendwie hat Regisseur Tony Scott („Top Gun“, „True Romance“, „Staatsfeind Nr. 1“) einigen Spielraum eingeräumt. Die uncoolen Dinge an der Biografie der Domino Harvey hat er einfach ignoriert. Die Tochter von Schauspieler Laurence Harvey („Manchurian Candidate“) und Topmodel Paulene Stone starb – nach einer Odyssee durch Drogensüchte, Inhaftierung und Rehabilitationsmaßnahmen – im Sommer noch nicht 40-jährig an einer Überdosis Schlaftabletten.

Da war der Film über sie fast fertig. Keira Knightley hatte zwei Millionen Dollar Gage für ihre Domino-Rolle eingestrichen und Scott die coolsten Anekdötchen aus Dominos Lebensgeschichte zu einem mutwillig fulminanten Action-Machwerk zusammengedampft. Ohne mit der Wimper zu zucken. Kopf oder Zahl.

Verlockend das, allemal: Eine Rich Bitch aus L. A. fliegt wegen Handgreiflichkeiten aus der Highschool, wandert zum Einsteigerseminar für Kopfgeldjäger, findet im Kopfgeldjägerinnendasein ihre Bestimmung und in ihrer Kopfgeldjägertruppe kleinfamiliären Ersatz. Gleich beim ersten Einsatz brilliert sie in Sachen „Meine Agenda ist, Ärsche zu treten“, wenig später steht auch schon das Fernsehen auf der Matte und verwurstet den „Bounty Squad“ rings um Domino in einer Reality-Serie.

Bildmaterial bekommen die blutgeilen Medienmacher natürlich ordentlich: Bowiemesser landen in Windschutzscheiben, Arme werden entweder lässig auf Rücken gedreht oder gleich ganz abgeschossen – Hauptsache, es geht rasant vonstatten und die Protagonisten haben möglichst viel Anlass, unbeeindruckt aus der Wäsche zu schauen, wenn sie es mit diversen Mafiosi, Mafiosi-Söhnen, Rache übenden Redneck-Müttern und vor allem in Fingernagelgegend schillernden Verwaltungsbeamtinnen zu tun bekommen.

Keira Knightley macht sich dabei, tja, sehr cool, Mickey Rourke als väterlicher Oberkopfgeldjäger einfach da weiter, wo er in „Sin City“ aufhörte. Auch Stand-up-Comedienne Mo’Nique und R’n’B-Königin Macy Gray als rassendiskursgeschulte „Blacktinas“ haben ihren Unterhaltungswert, gemeinsam mit den gewrackten Ex-„Beverly Hills 90210“-Stars Ian Ziering und Brian Austin Green, die sich niedlicherweise einfach selber spielen. Aber aller Casting-Furor hilft nichts: Dieser Film hätte Mitte der Neunziger herauskommen müssen, um die mangelnde Gewitztheit seines Plots wenigstens mit visuellen Neuigkeitswerten zu kompensieren.

Zwischen „Natural Born Killers“ und „From Dusk Till Dawn“ hätte er sich noch ganz gut geschlagen – nach „Fear And Loathing In Las Vegas“ und „Spun“ aber kommt er nur noch wie ein Experiment mit dem Action-historischen Riesenquirl daher: schnelle Clipästhetik-Schnitte, Blitzzooms auf irgendwas zu oder von irgendwas weg, Zeitraffer und Slow Motion an allen Ecken und Enden, simpel nach „Erinnerung“, „Romantik“ und „Gewaltausbruch“ kolorierte Bilder, ein lauter Soundtrack Marke Crossover und HipHop und dann noch die Kindfrau mit der Wumme zwischen den harten Kerlen mit den weichen Herzen – gesehen, gehabt. Sorry, aber: Kopf oder Zahl, that’s the name of the game.

„Domino“. USA 2005. Regie: Tony Scott. Mit Keira Knightley, Christopher Walken, Mickey Rourke, Jacqueline Bisset, Lucy Liu u. a. USA 1995, 128 Min.