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Archiv-Artikel

Rock-Revue und Hörtheater

PREMIEREN Die Landesbühne Nord präsentiert in Wilhelmshaven Orhan Pamuks „Schnee“ und das Musical „Meta, Norddeich“. Und stellt ein weiteres Mal unter Beweis, was sie kann

Aber auch das gehört zur Kunst: Mut zum Scheitern. Den hat die Landesbühne

VON JENS FISCHER

Und los: Als das Publikum 30 Minuten lang Zugaben erbettelt – im Stadttheater! Wilhelmshaven!! –, tänzelt Intendant Gerhard Hess den Bühnendeich herab und animiert zum Solidaritätsaufschrei. „Lang lebe die Landesbühne!“, sollen 514 ZuschauerInnen im ausverkauften Haus skandieren – und sie tun es ohrenbetäubend laut. Denn die Botschaft soll zu hören sein bis in die Landeshauptstadt.

Es geht um Geld, ums kulturelle „Ausbluten“ des Nordwestens: Noch bis 2011 beläuft sich der jährliche Zuschuss aus Hannover für die Landesbühne auf 3 Millionen Euro – bei einem Theateretat von insgesamt 5,5 Millionen. Um ein zunehmendes Defizit auszugleichen und die Bedeutung der Bühne für Wilhelmshaven und das Dreiviertelmillionen-Einwohner-Einzugsgebiet zu betonen, ist an der Leine bisher einzig „bürgerschaftliches Engagement“ ins Spiel gebracht worden: Spenden sammeln. Erstmal hat jetzt der Zweckverband, also die zwölf Kommunen und vier Landkreise, die von der Bühne bespielt werden, seinen Anteil um jährlich 150.000 Euro erhöht. Und nun sei eben Hannover dran.

Hess versucht seit 1998 das, wofür er gerade die Titelheldin in Peter Schanz’ Rockmusical „Meta, Norddeich“ feiern ließ: Die 1994 verstorbene Meta Rogall präsentierte in den 60er Jahren R’n’R- und Beat-Bands live an der Nordseeküste, später war ihre Rock-Disco „Haus Waterkant“ Jugendtreff zur Einübung des Siebziger-Lebensgefühls. Meta schloss die Welt der Provinz auf, heißt es im Vorwort des Stücks – so wie das Hess-Team zeitgenössisches Theater in westniedersächsischer Fläche anbietet. Und, einmal im Jahr, eben auch pure Unterhaltung.

Der Erfolg war selten so groß: Schon vor der „Meta“-Premiere sind fast alle Tickets der 27 Vorstellungen zwischen Wilhelmshaven, Emden, Leer und Jever ausverkauft, so dass eine Sommerbespielung für die Bühne in Wilhelmshaven und auf Norderney geplant wird. Auch der Merchandising-Shop ist ordentlich bestückt. Meta Rogall als Popstar in einer an Identifikationsfiguren armen Gegend.

Zum Identifikationsmusical allerdings fehlt es „Meta, Norddeich“ an einigem, Handlung beispielsweise. So kann man eher von einer Revue sprechen, mit den Hits der 60er und 70er Jahre. Und die werden in biederer Coverband-Manier dargeboten, recht mild und leise durch die Boxen geschickt, dazu machen Chormädels in Tierkostümen mal „Muuuuuh“, mal „Määääh“, auch mal ziemlich nackig den Hawaii-Hüftschwung.

Wie irgendwie auch die Kürzestszenen zwischendurch: Da werden eher Ostfriesenwitze gespielt als Auseinandersetzungen mit den Klischees inszeniert. Kämpfe gegen Staatsmacht und Nazivergangenheit sind schlichte Comedy-Nummern – und „Schockschwerenot!“, all der „Schafschiet“, den die jungen Menschen da rauchen.

Aus den spärlichen Textvorlagen sucht Regisseur Ingo Putz eine Art norddeutsches Komödienstadl zu kreieren, in einem überall verständlichen, künstlichen Plattdeutsch-Idiom und ironisch historisierenden Kostümen. Natürlich hätte man auch gern etwas vom Witz, Eigensinn, Unternehmertum und von den Visionen der Hauptfigur, gespielt von Angelika Bartsch, erfahren, aber neben einem kurzen Monolog übers Anpacken und Umkrempeln ist Meta meist nur singend im Minirock zu erleben; Äußerlichkeiten einer sehr grob angedeuteten Lebensgeschichte, die mit einer putzigen Himmelfahrt endet.

Dabei kann die Landesbühne auch anders. So kommt eine Dramatisierung von Orhan Pamuks „Schnee“ nicht auf der Nebenbühne heraus, sondern ebenfalls im großen Haus. Und der dialoglastige Roman des Literaturnobelpreisträgers ist wie geschaffen für intensives Hörtheater. Es treten auf: Revolutionäre Islamisten, kurdische Nationalisten, enttäuschte Linke, bürgerliche Liberale, putschwillige Kemalisten, gläubige Anhänger des säkularen Staates – im Hintergrund ziehen Polizei, Militär und Geheimdienst die Fäden. Pamuk urteilt nicht, sondern stellt Positionen dar, Ambivalenzen her.

Im Buch heißt es aber auch: „Keiner kann uns aus der Ferne verstehen.“ Was der inszenatorische Ansatz von Christian Hockenbrink zu sein scheint. Die Bühne ist von Zeitungen bedeckt, Darsteller erbrechen Texte als Zeitungsschnipsel, selbst Accessoires des Fremden – Bärte, Kopftücher – sind aus Zeitungspapier. Soll wohl heißen: Wir können nur erzählen von dem, was wir über die Türkei gelesen haben. So hatte im Foyer der türkisch-islamische Kulturverein Wilhelmshaven bei Essen und Musik vielleicht mehr zu erzählen als die Aufführung. Aber auch das gehört zur Kunst: Mut zum Scheitern. Den hat die Landesbühne.

www.landesbuehne-nord.de