: Kultur ohne Kern
JAZZMESSE Partnerland der „Jazzahead!“ in Bremen ist Israel
VON ROBERT MATTHIES
Gerade mal acht Millionen Menschen leben in Israel. Trotzdem ist jeder Versuch, einen Kern auszumachen, den man „typisch israelisch“ nennen kann, unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Zu jung ist das Land, zu weitverzweigt sind die Einflüsse und Hintergründe seiner Bewohner, zu vielschichtig ist seine kulturelle Landschaft.
Diese Vielschichtigkeit zeichnet auch den israelischen Jazz aus, dem die Fachmesse „Jazzahead!“ in Bremen – längst das weltweit größte Branchentreffen der Jazzszene nebst ebenfalls beständig wachsendem Showcase-Festival – nächste Woche ihren diesjährigen Länderschwerpunkt widmet. Ein breit gefächertes Spektrum von Jazz-Idiomen ist schon zum Auftakt am Donnerstag im Schlachthof und dem Congress Centrum zu hören. Sieben Gruppen und Künstler stehen dort auf der Bühne, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Außergewöhnliches gibt es etwa von der Sängerin Ilana Eliya zu hören. Nach dem Tod ihres Vaters, eines Sammlers und Sängers traditioneller kurdisch-jüdischer Lieder, begann sich die heute 57-Jährige nicht nur mit religiöser Musik, sondern auch eingehend mit der kurdischen Herkunft der Eltern auseinanderzusetzen, die in den 1950ern vor dem Hintergrund des wachsenden Antisemitismus im Irak nach Israel ausgewandert sind. Eine eigenwillige Melange aus kurdischer Folklore, israelischer Weltmusiktradition und aktueller hebräischer Poesie ist Eliyas Musik, einzigartig sowohl in der israelischen Szene als auch im Kontext kurdischer Musik.
Erst spät begann auch der aus einer säkularen Familie stammende Saxofonist und Sänger Daniel Zamir, sich mit religiöser, vor allem mit chassidischer Musik zu beschäftigen. In New York traf Zamir auf die Avantgarde-Ikone John Zorn, für dessen Tzadik-Label Zamir auf drei Alben im Rahmen der „Radical Jewish Culture“-Reihe unter anderem viel gelobte Jazz-Variationen traditioneller israelischer und jüdischer Kompositionen eingespielt hat.
Ganz andere Töne stimmt das „Power Klezmer“- und Punk-Polka-Duo Mãløx an. Nur mit Schlagzeug und Saxofon, Klarinette und irischer Sackpfeife bewaffnet, präsentieren Aviv Bonen und das ehemalige Balkan-Beat-Box-Mitglied Eyal Talmudi eine eigenwillige und hoch energetische Mixtur aus Klezmer, Progrock und freier Improvisation an, die so manches große Ensemble in puncto Intensität auf die Ränge verweist.
Ein weiterer Höhepunkt ist am Freitagabend in der Glocke der Auftritt des Trios um den Bassisten, Sänger und Komponisten Avishai Cohen, der, aufgewachsen in einem nordisraelischen Kibbuz und 1992 für ein paar Jahre nach New York gezogen, unter anderem als Mitglied in verschiedenen Bands des Scientologen und Fusion-Pioniers Chick Corea zum wohl bekanntesten Jazz-Export Israels avancierte. Mit Bobby McFerrin, Herbie Hancock, Alicia Keys und dem Israel Philharmonic Orchestra hat Cohen zusammengearbeitet und in den letzten Jahren mit einer hypnotischen Fusion aus Modern Jazz, lateinamerikanischen, osteuropäischen, arabischen und hebräischen Einflüssen eine ganz eigene Jazz-Signatur entwickelt. In Bremen präsentiert er sein Projekt „Seven Seas“, eine virtuose kosmopolitische Klangreise vom Nahen Osten über Nordafrika und New York zurück nach Israel.
■ Do, 25. 4. bis So, 28. 4., Congress Center Bremen