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Archiv-Artikel

Lonesome Cowboy vom Apennin

ITALIEN José Mourinho ist ganz der Alte, wenn er Inter Mailand zum Team der Stunde macht und dennoch Verschwörung wittert

PALERMO/MAILAND taz | Als Heilsbringer kam er. Weil er dem italienischen Fußball aber kaum neue taktische Impulse verleiht und sich viel lieber über die Verkrustungen des Systems aufregt, hat José Mourinho sich inzwischen den Ruf eines unhöflichen Schreihalses erworben. Doch beim Derby, der einzigen echten Herausforderung, die die Serie A für Inter bereithält, trieb er seine Truppen am Sonntag zu einer perfekten Leistung an.

„Ich habe es gesagt. Ich!“, formten die Lippen José Mourinhos. Der Portugiese warf sich die Arme an die wie bei einem Kampfhähnchen geschwellte Brust. Der Trainer von Inter Mailand hatte gerade die schon angezeigte Auswechslung seines Stürmers Goran Pandev um jene entscheidenden 60 Sekunden verzögert, die der Mazedonier brauchte, einen Freistoß ins Tor des spät reagierenden Dida zu befördern, sich jubelnd das Trikot vom Leibe zu reißen und von den Mannschaftskameraden erdrücken zu lassen.

Das 2:0 in der 65. Minute bescherte Inter endgültig den Sieg in einem hart umkämpften Derby. Mourinho brachte diese Episode die Genugtuung, wieder einmal alles richtig gemacht zu haben und sich zur Not auch gegen die Verschwörung aller zur Wehr setzen zu können. Inter war zu diesem Zeitpunkt wegen eines Platzverweises gegen Sneijder schon auf zehn Mann geschrumpft, hatte mit einer bemerkenswerten Abwehrleistung dem AC Mailand aber den Schneid abgekauft und mit kreuzgefährlichen Konterzügen sogar für ein ausgewogenes Chancenverhältnis gesorgt.

Freude hatten an diesem intensiven, aber spielerisch wenig überzeugenden Derby vor allem Paranoiker vom Schlage Mourinhos. Der hält sein Team schon seit einigen Wochen für das systematische Opfer von Fehlentscheidungen der Schiedsrichter. „Wir siegen trotzdem“, schleudert er in schöner Regelmäßigkeit in die Mikrofone. Journalisten, die seiner Sichtweise nicht folgen, wirft Mourinho gern „intellektuelle Prostitution“ vor. Sogar mit Nationalcoach Marcello Lippi legt er sich an. Im patriarchalisch geprägten Italien ist dies ein Sakrileg; hier gilt der Nationaltrainer als Erster aller Trainer. Lippi hatte unter der Woche Juventus und Milan seine Aufwartung gemacht, Inter aber mit der Bemerkung ausgelassen, dort spielten ohnehin nur Ausländer. Politisch ist das mindestens ungeschickt, steht beim Tabellenführer doch der bei der italienischen Nachwuchsauswahl als Stammspieler gesetzte Mario Balotelli unter Vertrag. Balotelli, ein italienischer Staatsbürger ghanaischer Abstammung, wird von gegnerischen Fans oft mit dem Sprechchor „Es gibt keine schwarzen Italiener“ diffamiert. Lippi setzt sich mit seiner Äußerung mitten unter diese rassistischen Krakeeler. Aber auch gegenüber dem wieder aufstrebenden Außenverteidiger Davide Santon ist seine Bemerkung kränkend. Dass Mourinho sich schützend vor seine Spieler stellt, ist verständlich. Es spricht für seine Charakterstärke. Dass er daraus aber wieder ableitet, alle Welt hätte sich gegen sein Inter verschworen, deutet stark auf die Wagenburgmentalität hin, in der er sich verbarrikadiert.

Die tendenziöse Pfeifleistung von Referee Gianluca Rocchi beim Derby bot ihm die passende Gelegenheit zur Weiterarbeit an der beliebten Verschwörungstheorie. „Ich nehme einen merkwürdigen Geruch wahr. Heute Abend ist alles getan worden, um Inter nicht gewinnen zu lassen. Aber damit wir verlieren, hätten wir zu sechst auf dem Platz sein müssen. Denn noch mit sieben gewinnen wir“, prahlte Mourinho nach dem Spiel.

Die Zahlenspielerei bezog sich auf zwei Platzverweise. Nachdem Sneijder bereits Mitte der ersten Halbzeit vom Feld geflogen war, weil er dem Schiedsrichter nach einer mit Gelb geahndeten Simulation von Lucio übertrieben Beifall gespendet hatte, ereilte dieses Schicksal den Brasilianer selbst in den Schlussminuten. Im Gerangel im Strafraum geriet ihm der Ball an die Hand: Gelb-Rot und Strafstoß für Milan war die Konsequenz. Ronaldinho, einmal des unermüdlichen Pressings von Maicon und Zanetti ledig, bekam den Ball aber auch vom Elfmeterpunkt aus nicht im Tor unter.

Mourinho darf sich nun als Lonesome Cowboy vom Apennin wähnen. Alle Kräfte mögen sich gegen ihn verbünden. Er beschreitet aber unverdrossen seinen Weg. Den Italienern warf er nach dem Spiel noch die Bemerkung zu: „Ich bin Ausländer. Das ist eure Meisterschaft. Eines Tages gehe ich wieder weg. Aber euch bleibt die Meisterschaft.“ Ein Trainer, der Italien verändern wollte, ist zum trotzigen Buben geschrumpft. TOM MUSTROPH