Postkarten aus Kambodscha

KUNST Junge kambodschanische Künstler setzen sich mit den rücksichtslosen Projekten im Stadtumbau von Phnom Penh auseinander. Zu sehen in der ifa-Galerie in Berlin

Von diesen Grundstücken wurden oft mit brutaler Gewalt die Slums weggeräumt

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Solche Postkarten gibt es in Phnom Penh nirgends zu kaufen. Aber sie zeigen etwas, was man in der kambodschanischen Hauptstadt inzwischen häufiger sieht als die Tempel und französischen Kolonialvillen, die das Auge des ausländischen Besuchers erfreuen: Metallzäune. Der kambodschanische Künstler Lim Sokchanlina hat sie in der grellen Mittagssonne fotografiert: stumme Zeugen einer schleichenden, aber rasanten Veränderung von Phnom Penh, dessen Stadtbild bis vor Kurzem wirkte wie Anfang der siebziger Jahre arretiert.

In den sechziger Jahren galt Kambodscha als eines der modernsten Länder Asiens. Während in den Nachbarländern Vietnam und Laos Bürgerkrieg herrschte, machte Prinz Sihanouk sein Land zur „Schweiz Südostasiens“. Doch 1976 übernahmen die Steinzeitkommunisten der Roten Khmer die Macht und errichteten in dem Land eine Form von „Volksherrschaft“, die die chinesische Kulturrevolution in Sachen Brutalität und Destruktion noch überbot. Ein Drittel der kambodschanischen Bevölkerung wurde während der gut dreijährigen Schreckensherrschaft ermordet. Besonders Künstler und Intellektuelle wurden Opfer der Roten Khmer.

Von diesem Blutbad hat sich das Land bis heute nicht erholt. Und bis heute wird es von einer Riege von Politikern regiert, die von den Vietnamesen eingesetzt wurden, die das Land 1980 militärisch befreit hatten. Das Land führten sie mehr schlecht als recht, zunächst als sozialistische Volkswirtschaft, inzwischen als konstitutionelle Monarchie. Aber wie ihre Kollegen in Vietnam oder China haben sie in den letzten Jahren gelernt, wie man sich durch Korruption, Vetternwirtschaft und Spekulation schamlos bereichert.

Die Metallzäune auf Sokchanlinas Bildern, die in der Berliner Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) in einem Postkartenständer zum Mitnehmen einladen, sind Ausdruck dieser Selbstbedienungsmentalität: Sie fassen Grundstücke ein, die von Investoren aufgekauft wurden, um sie mit Apartmenthäuser und Shoppingmalls für die kleine Mittelklasse des Landes vollzustellen. Von diesen Grundstücken wurden oft mit brutaler Gewalt die Slums weggeräumt, die dort zum Teil schon seit Jahrzehnten bestanden, die Bewohner wurden, ohne ihnen Ersatzunterkünfte zu bieten, vertrieben. Dass diese Räumungen meist mithilfe der Polizei oder sogar der Armee durchgeführt werden, zeigt, dass die neuen Eigner mit der politischen Elite unter einer Decke stecken.

Die Ausstellung „Phnom Penh: Das Verschwinden verhindern“, die in der ifa-Galerie in Berlin gezeigt wird, präsentiert zeitgenössische Kunst aus Kambodscha, die sich mit dieser rasanten Veränderung von Phnom Penh beschäftigt. In den letzten Jahren sind im ehemals „horizontalen“ Phnom Penh die ersten Hochhäuser entstanden, viele andere sind in Planung.

Khvay Samnang hat sich in einigen der Seen fotografiert, die heute noch mit Lotos und Schlingpflanzen zugewachsen sind, aber bald für Immobilienentwicklungen ausgetrocknet werden sollen. Im Hintergrund der Fotos wachsen neue Bürotürme in die Höhe, im Vordergrund übergießt sich der Künstler mit Schlamm aus dem See – ein hilfloser Protest gegen das Hyperwachstum seiner Heimatstadt, dass weder ethische noch ökologische Grenzen kennt.

Tith Kanithas Performance „Heavy Sand“ bezieht sich auf den Boeung Kak Lake, den einst größten öffentlichen See in Phnom Penh, an dessen Ufer mehr als 20.000 Menschen lebten. 2007 wurde der See an eine undurchsichtige Immobilienfirma verkauft, die ihn zuschüttete und die Mehrheit der Anwohner vertrieb. In Kanithas Performance, die als Video gezeigt wird, sieht man die Künstlerin in einem Galerieraum, dessen Boden mit Sand bedeckt ist. Sie schreitet um eine Leiter herum, übergießt sich mit Wasser aus Eimern und Plastikkannen, gräbt sich zuletzt in den roten Sand ein. Die Familie der Künstlerin hatte ihr Haus am See, der Wasser zum Kochen und Waschen lieferte. Die Wüste, die die Immobilienspekulanten hinterlassen haben, hat vielen Anwohner ihren Lebensunterhalt genommen.

Oft wird der deutsche Betrachter nicht wissen, wie gewagt diese Arbeiten für kambodschanische Verhältnisse sind, und das nicht nur wegen ihrer politischen Implikationen: Tith Kanitha führt ihre Performance im Bikini auf – in einem Land, in dem sich die meisten Frauen sogar am Strand mit Tüchern verhüllen, ein kühner Akt. Oder die „Endurance Performances“ von Svay Sareth, der eine Metallkugel von zwei Meter Durchmesser durch halb Kambodscha rollte – in einem Land, in dem die weltberühmten Ruinen der Tempelstadt Angkor Wat immer noch als Maßstab aller künstlerischen Leistung gelten, gehört zu solchen künstlerischen Aktivitäten viel Mut.

Zwar gibt es in Phnom Penh eine Kunstakademie, doch dort herrscht ein Traditionalismus, der auf die Kolonialzeit zurück geht: Unter den Franzosen sollten die Studenten dort die althergebrachten Kunstformen der Khmer bewahren: Skulptur, naive Tempelmalerei, Lackkunst, Maskenbau für das Theater. Diese Ausrichtung prägt die Schule bis heute: Immer noch müssen alle Studenten im Grundstudium „Kbach“, die klassischen Ornamente der traditionellen Kunst der Khmer, kopieren.

Zarte Pflanze Kunstszene

Erst in den vergangenen zehn Jahren hat sich in Phnom Penh wieder eine Kunstszene entwickelt, die international anschlussfähig ist. Wobei der Ausdruck „Szene“ für dieses zarte Pflänzchen fast zu üppig ist. Lokale Galerien, in denen man ausstellen kann, gibt es kaum; erst recht keine lokalen Sammler und kein Museum für zeitgenössische Kunst. Ausstellungen finden in Cafés statt, die von Ausländern besucht werden, oder in Institution wie dem Institut Français oder dem Meta House, einem von Goethe-Institut unterstützten deutschen Kulturzentrum. Viele der Künstler haben im Ausland studiert oder ihre erste Berührungen mit moderner Kunst bei Workshops gehabt, die von den zahlreichen Entwicklungshilfeorganisationen und NGOs in Kambodscha organisiert wurden.

Inzwischen tragen solche Bemühungen Früchte, wie nicht nur diese erste Präsentation von Gegenwartskunst aus Kambodscha in Deutschland zeigt. Bei der Documenta im vergangenen Jahr war mit Pich Sopheap ebenfalls ein Kambodschaner vertreten. In Berlin sind von ihm filigrane Skulpturen aus Bambus zu sehen.

■ Bis 16. Juni in der ifa-Galerie Berlin; ab 28. Juni in der ifa-Galerie Stuttgart; Katalog 17 Euro