: Europa bibbert schon
Gasstopp für die Ukraine könnte Folgen für Westeuropa haben
BERLIN taz ■ Der Lieferstopp für russisches Gas in die Ukraine hat zunächst keine direkten Folgen für die Gasversorgung Westeuropas. Denn die russische Gazprom hat zunächst die beiden Leitungen stillgelegt, mit denen allein die Ukraine mit Gas versorgt wird.
Dennoch bestehe die Möglichkeit, dass auch die Kunden in der Europäischen Union in Mitleidenschaft gezogen werden, sagte gestern ein Gazprom-Sprecher in Moskau. 80 Prozent des in die EU gelieferten russischen Gases strömen nämlich durch drei weitere Pipelines über ukrainisches Staatsgebiet. Die könnten von der Führung in Kiew angezapft werden, warnte Gazprom-Sprecher Kuprijanow. „Von Anfang an waren sie darauf aus, ab dem 1. Januar illegal Gas abzuzapfen oder genauer gesagt: zu stehlen.“ Auch der ukrainische Gasversorger Naftogas erklärte, der Lieferstopp für das Land könne Auswirkungen auf Westeuropa haben.
Deshalb startet die EU bereits eine erste diplomatische Offensive. Bereits am Samstag hatten Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und seine Amtskollegen aus Österreich, Frankreich und Italien einen gemeinsamen Brief an die Energieminister Russlands und der Ukraine geschickt. Darin appellierten sie, die Versorgung Westeuropas mit Gas müsse trotz des Streits „in vollem Umfang aufrechterhalten werden“.
Eine Verringerung der Lieferungen könne „zu nicht unerheblichen Problemen für die Gasversorgung in Westeuropa führen“, heißt es in dem Schreiben, das vom österreichischen Wirtschaftsminister initiiert wurde. Und übermorgen trifft sich eine Expertenrunde bei EU-Energiekommissar Andris Piebalgs, die eine „angemessene europäische Antwort“ auf die neue Lage diskutieren soll.
Dabei ist ein kurzfristiger Engpass nicht zu befürchten. Denn allein die in Deutschland zur Verfügung stehenden Gasspeicher reichen aus, um den hiesigen Gasbedarf für 75 Tage zu decken – versprechen zumindest die Gaswirtschaft und das Bundeswirtschaftsministerium. Und weil knapp zwei Drittel der hiesigen Importe aus anderen Ländern wie Norwegen oder Dänemark stammen, müssen die Deutschen keine Angst vor einem kalten Winter haben.
Doch die Abhängigkeit Europas von Erdgasimporten wird steigen. Die amerikanische Energy Information Administration (EIA) geht davon aus, dass der Importbedarf der EU einschließlich aller Beitrittskandidaten (EU 30) bis 2020 um 150 bis 200 Prozent steigt. Russland wird dabei wichtig bleiben, wird aber nach einer Studie der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik die Nachfrage gar nicht stillen können – und auch nicht wollen. Denn im Osten locken China und auch die USA als interessante Märkte. Die Europäer werden ihr Gas also zunehmend in Nordafrika, dem Nahen Osten und Zentralasien kaufen müssen – in Regionen also, gegen die Russland und Ukraine Horte der politischen Stabilität sind.
STEPHAN KOSCH