Auf dem großen Treck

Die Recherche-Ausstellung „B-ZONE“ in den Kunst-Werken zeigt, wie transnationale Ökonomien den sozialen Raum in Südosteuropa nachhaltiger neu ordnen als Krieg und das Ende politischer Systeme

VON MARCUS WOELLER

Russland hat der Ukraine am Sonntag den Gashahn zugedreht. Mit der öffentlichkeitswirksam inszenierten Geste hat der staatliche Energiemonopolist Gazprom nicht nur den Ressourcentransfer gedrosselt, sondern via Pipeline auch den ultimativen Machtanspruch kommuniziert. Ökonomische Infrastrukturen verteilen eben nicht nur Güter, sondern reglementieren auch den Zugriff und verknüpfen Orte, Menschen und Dinge auf neuartige Weise. Die sozialen und kulturellen Probleme, die in diesen Netzen zwangsläufig entstehen, untersucht nun eine Ausstellung in den Kunst-Werken.

„B-ZONE – Becoming Europe and Beyond“ beleuchtet drei Projekte, die sich auf der Grenze zwischen sozialwissenschaftlicher Forschung, journalistischer Dokumentation und bildender Kunst bewegen. In der geografischen B-Zone liegen Länder, die sich um die Aufnahme in den A-Zonen-Club der Europäischen Union bemühen – etwa die Türkei und die Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens: transnationale soziale Räume, deren maßgebliches Merkmal eine infrastrukturell motivierte Migration ist. Drei ganz unterschiedliche Infrastrukturen stehen dabei im Mittelpunkt der Ausstellung: eine Pipeline vom Kaspischen Meer in die Türkei, die Autobahn Thessaloniki–Salzburg und Telekommunikationsnetze in Slowenien und Kroatien.

Ursula Biemann stellt mit „Black Sea Files“ eine Videoarbeit vor. In zehn Filmen untersucht sie die Auswirkungen des Baus einer Pipeline von Baku, dem Zentrum aserbaidschanischer Erdölproduktion, an die türkische Mittelmeerküste: ein massiver Eingriff in die Struktur der sensiblen Regionen. Bauern mussten Land verkaufen, Grundstücke wurden enteignet, Menschen vertrieben oder umgesiedelt. In den „Black Sea Files“ verbindet Biemann historische Fakten und politische Entscheidungen mit persönlichen Forschungsergebnissen. Sie beschäftigt sich mit der Petrogeschichte des Kaukasus, beobachtet die technische Konstruktion der Pipeline durch Gastarbeiter aus Südamerika und unterhält sich mit anatolischen Landwirten, die sich mit den neuen Landmarken abfinden müssen. Gemeinsam mit dem Media-Kollektiv VideA aus Ankara engagiert sich Biemann gegen die Unterdrückung und Zwangsumsiedlung der Kurden, die als Gefahr für die Pipeline-Sicherheit angesehen werden. Die Interviews belegen, wie wenig Einfluss die Bevölkerung auf die Eingriffe in ihren Lebensraum hat. Während ihrer Recherchen empfand sich Biemann als „embedded artist“: Ohne spezielle, also ökonomische, journalistische oder wissenschaftliche Legitimation brachte sie sich ins lokale Geschehen ein, um verborgene und unkontrollierte Geschichten aufzuspüren – jene menschlichen Episoden, die in der offiziellen Geschichte des Pipelineprojekts keine Rolle spielen.

Angela Melitopoulos versteht ihre Projektions- und Lautsprecher-Installation „Corridor X“ als ein Roadmovie zwischen Deutschland und der Türkei. Die „Korridore“ sind von der EU geförderte Autobahnprojekte – Nummer zehn soll eine durchgehende Verbindung von der deutsch-österreichischen Grenze über Ljubljana, Zagreb, Belgrad und Skopje nach Thessaloniki und weiter in Richtung Istanbul herstellen. Die Fernstraße symbolisiert gleichzeitig uneingeschränkte wie segmentierte Mobilität – die Balkan-Kriege haben die Straße immer wieder zerstört und unpassierbar gemacht. Melitopoulos spricht in ihrem Video mit Anwohnern, Migranten und Passanten über die Verheißung eines Weges nach „Westen“, aber auch über den reglementierten Zugang zur Straße.

Lisa Parks wiederum betrachtet in ihrem Beitrag „Postwar Footprints“ die Telekommunikationssituation in Slowenien und Kroatien. Nach den Balkankriegen hat sich das sozialistische System terrestrischer Telefonie in ein transnationales Mobilfunksystem verwandelt. Die drahtlose Technologie in Verbindung mit der beschränkten Möglichkeit, sich überhaupt auf diesem Markt zu bewegen, transformiert die soziale Geografie: Nicht nur der Krieg hat die Grenzen verändert. Die kaum zu kontrollierende Macht der Wirtschaftsunternehmen trägt umso nachhaltiger dazu bei. In einer Verbindung aus Videoprojektion und Powerpoint-Präsentation konfrontiert Parks Aufnahmen der zerstörten Städte, vor deren Ruinen große Werbeplakate drahtlose Kommunikation versprechen, mit der in Statistiken vermerkten Sendeleistung der Telefongesellschaften. Während sich Politik und Gesellschaft noch in nationalen Fragen verlieren, hat sich eine kriegsgewinnlerische Ökonomie längst darüber hinweggesetzt. Grenzen werden nun anders gezogen. Wer sich nicht mit den neuen Gegebenheiten arrangiert, bleibt im Funkloch.

„B-ZONE“ beschäftigt sich mit dem Wandel der Welt in globalisierten Verhältnissen. Während Großprojekte den Staaten Prestige verleihen und der Wirtschaft Profite bringen, bedeuten sie für die betroffene Bevölkerung soziale, kulturelle und räumliche Veränderungen. Aufklärung ist hier mehr als dringlich. Leider gelingt es der Ausstellung nicht, den aufklärerischen Anspruch deutlich und vor allem verständlich zu machen. Die gezeigten Arbeiten reklamieren eine Partizipationsalternative – die Menschen sollen den Wandel ihrer Umgebung mitgestalten können. Doch die nur englischsprachige Ausstellung selbst macht die Teilhabe an ihr formal und inhaltlich gleichermaßen schwer. Die komplexen Themen bleiben vage, spröde und unzugänglich, Handlungsspielräume und politische Praktiken verschwimmen. Am Ende ist man nur um ein diffuses Wissen reicher – über Regionen, deren jüngste Geschichte leider immer noch im Halbdunkel liegt.

„B-ZONE“ in den Kunst-Werken, bis 26. Februar, Katalog, 420 S., 29 €