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Archiv-Artikel

„Ich habe die Medien benutzt – das hat mir geschadet“

Ein selbstkritischer Marek Dutschke blickt zurück auf seinen Versuch, Spitzenkandidat der Berliner Grünen zu werden. Jetzt will er Basisarbeit machen. Die Bundespartei nennt Dutschke „angepasst“

INTERVIEW JAN STERNBERG

taz: Herr Dutschke, Sie haben im vergangenen Frühjahr fünf äußerst spannende Wochen erlebt – durch Ihre spontane Entscheidung, sich um eine Bundestagskandidatur zu bewerben. Wie kam es dazu?

Marek Dutschke: Als Franz Müntefering am 22. Mai die Neuwahl-Entscheidung verkündete, hat sich die Verantwortung in der Bundesregierung in Luft aufgelöst. Die Grünen wurden als der Buhmann hingestellt, sie wurden übergangen, und die Partei hielt sich zurück, weil man durch diese sieben Jahre Rot-Grün miteinander verknüpft war. Da braucht man Leute von außen, die diese Festung sprengen. Und ich habe gedacht, dass ich die Möglichkeit hätte, das zu machen.

Sie waren in Brüssel Praktikant im Europa-Parlament. Sind Sie gleich am nächsten Tag nach Berlin gefahren?

Ich habe noch die Woche zu Ende gemacht. Ich habe meinem Abgeordneten, Milan Horacek, gesagt, dass ich kandidieren werde. Er hat ein paar Leute angerufen, kam zurück und meinte: „Junge, mach das nicht.“ Dann habe ich gesagt: Ich mach es trotzdem. Die Möglichkeit war einzigartig – jetzt oder nie. Mit einem Freund zusammen habe ich in Berlin zuerst bei den Grünen vorgefühlt. Dort stand man der Idee nicht sehr aufgeschlossen gegenüber. Dann haben wir mit meinem eigenen Freundeskreis weitergemacht. Es musste ja sehr schnell gehen. Und natürlich war viel Pressearbeit zu machen.

Es gab einen Riesen-Medienrummel, bei dem Sie bereitwillig mitgespielt haben.

Ich habe das bewusst gemacht. Es gibt 3.600 Mitglieder bei den Berliner Grünen. Zu den Mitgliederversammlungen kommen 600 bis 800. Da hab ich gedacht, drei Viertel der Mitglieder warten nur darauf, mobilisiert zu werden. Und wenn man jedes Medium dazu verwendet, die Botschaften auszubreiten, werden sie kommen. Das war ein Fehler. Es stellte sich heraus, dass am Ende eher die Leute kamen, die darüber erbost waren, dass so viel Medienöffentlichkeit generiert wurde.

Es gab damals ein Weblog mit einer halbironischen Kampagne „Der neue Dutschke nervt“. Auf dieser Internetseite steht ein Diskussionseintrag von Ihnen: „Don’t hate the player, hate the game.“

Ich habe diese Website erst vor kurzem gefunden. Ich war fasziniert und fühlte mich auch irgendwo geehrt. Mit diesem Spruch wollte ich erklären, dass es nicht meine Schuld ist, wie die Medien funktionieren. Ich habe sie bewusst benutzt – aber das hat mir im Endeffekt geschadet.

Der Eindruck von Ihnen war, dass da jemand ganz naiv, sehr forsch, ganz schnell etwas werden will, ohne die Strukturen zu kennen …

… das war doch eher der parteiinterne Blick. Der Blick von außen war ja auch, dass da jemand Junges den Mut hat, die Strukturen anzuzweifeln, und sagt, jetzt muss jemand Neues kommen.

Sie haben gesagt, Sie wollten nicht in die Fußstapfen Ihres Vaters treten, sondern eigenen hinterlassen. Aber mit einem anderen Namen hätten Sie nie diese Aufmerksamkeit bekommen.

Diese Nachnamen-Argumente führen nirgendwohin. Da spielt doch auch Neid eine Rolle. Ja, wenn ich nicht so hieße, wären die Medien nicht so auf mich angesprungen. Aber ohne meine Eltern wäre ich auch nie so ein politischer Mensch geworden und wäre gar nicht in der Situation gewesen zu kandidieren.

Gibt es für Sie ein politisches Vermächtnis Ihres Vaters?

Ich würde nicht sagen, dass ich inhaltliche Positionen meines Vaters weitertragen würde. Das war eine andere Zeit. Es gibt aber Dinge, die ich an ihm bewundere: diesen Mut, alles zu riskieren, auch diese sehr soziale und humanistische Denkweise.

Wir haben wieder – wie 1968 – eine große Koalition, aber sonst ist alles anders. Wir haben eine innerparlamentarische Opposition mit zwei sich links nennenden Parteien. Wie geht es für die Grünen weiter?

Die Linkspartei wird’s einfacher haben. Nach der Regierungserklärung haben sie im Fernsehen die drei Oppositionschefs nacheinander gebracht. Und wer war mit Abstand am langweiligsten? Fritz Kuhn. Er ist nicht lustig, er ist nicht rhetorisch gewandt. Man steht politisch zwischen der FDP und der Linkspartei in der Mitte – das ist so unsexy. Und was Trends und Style angeht, haben wir Grünen wenig anzubieten. Dadurch verlieren die Grünen ihren Reiz, dass man sie als alternativ und unangepasst wahrnimmt.

Joschka Fischer haben Sie im Frühjahr hart kritisiert – fehlt er den Grünen jetzt nicht doch?

Ja doch, natürlich. Klar. Wer könnte im nächsten Wahlkampf die Marktplätze füllen? Im Moment eigentlich keiner – Claudia Roth vielleicht, bei Renate Künast bin ich skeptisch.

Sie leben jetzt seit zwei Jahren in Berlin. Wollen Sie hier bleiben?

Ich bin so glücklich in Berlin, wie ich sonst nirgendwo gewesen bin.

Woran liegt das?

Natürlich an einer Frau. Dazu kommt, dass meine Familie in der Nähe ist – meine beiden Onkel in Potsdam und Luckenwalde, meine Geschwister in Dänemark.

Im kommenden Jahr soll es die Dutschkestraße geben. Freut Sie das?

Ich finde vor allem die künftige Kreuzung Axel-Springer-Straße/Rudi-Dutschke-Straße gut. Das ist eine Gleichbewertung – von Versöhnung will ich aber nicht sprechen.

Viele haben Ihnen übel genommen, dass Sie demonstrativ keine Lust auf Basisarbeit und „Ballons aufblasen“ hatten. Wie sieht es jetzt mit der Parteiarbeit aus?

Ich bin im Kreisverband Mitte, versuche da meine Präsenz konstant zu halten, auch bei der Grünen Jugend. Man tut, was man kann.