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Archiv-Artikel

Nostalgische Liebe

MAXIM BILLER AUF DER BÜHNE Frank Abt inszeniert „Adam und Esra“ am Deutschen Theater in Berlin

Eine junge Frau sitzt im Dunkeln am Fenster, den Blick versonnen auf den beleuchteten Globus vor sich auf dem Schreibtisch gelegt. Die Kulissen sind simpel wie in einem unterfinanzierten Zimmertheater, und die Gardine, die quer durch die „Box“ des Deutschen Theaters gespannt ist, spielt weniger auf Brecht als auf den Biedersinn traditioneller Migrantenhaushalte an. Nein – in seiner Bühnenversion verströmt Maxim Billers Roman „Esra“ aus dem Jahr 2003, der durch diverse gerichtliche Instanzen hindurch Gegenstand eines Prozesses über den Schutz von Persönlichkeitsrechten und künstlerischer Freiheit war, nicht den leisesten Hauch von Skandal.

Schon im vergangenen Jahr brachte die Hamburger Regisseurin Angela Richter das verbotene Buch auf die Bühne und lieferte auf Kampnagel eher einen Kommentar zu Billers radikaler Ausbeutung des eigenen und vor allem des Lebens seiner ehemaligen Geliebten. Frank Abt, Jahrgang 1976, zäumt jetzt in Berlin das Pferd von der anderen Seite auf und tilgt alles, was auf die spektakuläre Rezeptionsgeschichte verweisen könnte – einschließlich mancher Spuren, die der Autor selbst gelegt hat. Abt nimmt Billers stark autobiografisch getönte Lovestory zwischen der türkischstämmigen Esra und dem jüdischstämmigen Adam sehr ernst und ergreift damit auf denkbar stärkste Weise Partei für den Verfasser.

Arnd Klawitter, Maren Eggert und Simone von Zglinicki spielen zwar Adam, Esra und deren Mutter Lale, sprechen aber meist den Prosatext von Ich-Erzähler Adam. Das spiegelt treffend die Position des Autors, der sich Menschen, die sich ihm im wirklichen Leben verweigern, schreibend unterwirft. Obwohl Maren Eggert ihre Esra nicht als die „kleine Sklavin“ der herrschsüchtigen Mutter anlegt, die Adam schildert, und mit feinem Lächeln in sich ruht, dominiert doch Adams larmoyanter Monolog. Arnd Klawitter denunziert den Schreibtischtäter nicht, spielt den sensiblen Frauenleiderdochnichtversteher, dessen Verschmelzungsfantasien weniger in Sex münden als in der Projektion, Esra könne der heimlich jüdischen Volksgruppe Dönme angehören.

Erst gegen Ende, als Esra von einem anderen Mann schwanger und die Trennung unvermeidlich wird, gönnt er seiner Figur ein paar fies genießerische Schmerzensszenen. Zum voll aufgedrehten „Purple rain“ wirft er sich heulend über den Schreibtisch und tanzt, sich selbst umarmend, allein. Ausgerechnet in diesen Momenten der Lächerlichkeit weist der Abend über Maxim „Adam“ Biller hinaus in die Wirklichkeit von uns „freien Menschen“, die nur noch nostalgisch lieben können, wie der im Programmheft zitierte Sven Hillenkamp meint.

EVA BEHRENDT