Boston-Verdächtiger sagt aus

USA Dzhokar Tsarnaev beteuert, er und sein Bruder hätten allein gehandelt. Er wird wegen des Gebrauchs von Massenvernichtungswaffen angeklagt. Ihm droht die Todesstrafe

Der jüngere Tsarnaev soll nicht in die Moschee gegangen sein, sondern gekifft haben

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

Die „WMD“ ist zurück – die Massenvernichtungswaffe. In diesem Fall als selbst gebastelte Bombe in einem Schnellkochtopf. Sie ist Teil der Anklage gegen Dzhokar Tsarnaev, den überlebenden mutmaßlichen Bombenleger von Boston. Der schwer verletzte 19-Jährige wurde am Montag angeklagt. Sein Prozess soll im Mai vor einem zivilen Gericht beginnen.

Falls er schuldig gesprochen wird, droht ihm die Todesstrafe. Die wurde zwar 1982 in Massachusetts, wo die Verbrechen geschahen, abgeschafft, gilt aber weiterhin im US-Bundesrecht.

Ehe Dzhokar Tsarnaev am Montag im Krankenhaus über seine „Miranda-Rechte“ belehrt wurde – darunter das Recht, zu schweigen, und das Recht auf eine Verteidigung –, ist er verhört worden. Die US-Behörden begründen dieses ansonsten für „feindliche Kämpfer“ in Guantánamo reservierte Vorgehen mit der „öffentlichen Sicherheit“.

Trotz einer Verletzung am Hals ist der jüngere Tsarnaev offenbar gesprächig. Er soll sich zu den Bomben auf der Zielgeraden des Bostoner Marathons bekennen; soll die Hauptverantwortung seinem in der Nacht zu Freitag umgekommenen sieben Jahre älteren Bruder Tamerlan geben; soll erklären, sie hätten aus „religiöser Leidenschaft“ gehandelt. Sie hätten ihre Bomben selber gebastelt und die Anleitung dazu im Internet gefunden. Aber sie hätten allein gehandelt – ohne Kontakte mit ausländischen Organisationen und Personen.

„Self-Radicalization“ nennen die Fachleute in den USA das. Sie halten es für noch gefährlicher als Ausbildungen in ausländischen Lagern, weil es schwerer zu überwachen ist. Nach Angaben von Verwandten könnte die religiöse Wende des älteren Tamerlan Tsarnaev, der erfolgreich in Meisterschaften an der Ostküste boxte und sich für Autos und Kleider interessierte, bereits im Jahr 2009 begonnen haben. Möglicherweise hat auch seine Mutter eine Rolle gespielt. Zubeidat Tsarnaeva war über den Drogen- und Alkoholkonsum sowie über das Boxen ihres älteren Sohnes besorgt. Als sie sich „dem Islam zuwandte“, kam es zu einem Bruch mit ihrem Mann, selbst ehemaliger Profi-Boxer. In den vergangenen Jahren sind nacheinander Vater und Mutter aus ihrem Exil in den USA nach Dagestan zurückgekehrt, wo sie wieder zusammenleben.

Die russische Regierung hatte den FBI schon 2011 vor Tamerlan Tsarnaev gewarnt. Der FBI prüfte und fand keine gefährlichen Kontakte. Ob russische und US-amerikanische Dienste den jungen Mann im vergangenen Jahr während und nach einer sechsmonatigen Kaukasus-Reise beobachtet haben, ist unklar.

Der jüngere Tsarnaev soll nicht in die Moschee gegangen sein. Sondern – so Kommilitonen – „täglich“ gekifft haben. Über den älteren Tsarnaev hingegen heißt es, er habe in seiner Moschee in Boston gegen Feierlichkeiten zum US-Nationalfeiertag protestiert. Seine 24-jährige Frau konvertierte vom Christentum zum Islam und von Katherine zu Karima. Boulevardblätter zeigen sie mit Hidschab und Titeln wie: „Hat sie etwas gewusst?“