: Ausgehen und rumlesen
Tagsüber Buchladen, abends Bar: In Moabit versucht sich die neu eröffnete Buchkantine mit einem eigenwilligen Mischkonzept eine loungefreudige und krimibegeisterte Leserschaft zu erschließen
VON JÖRG SUNDERMEIER
Moabit gehört offiziell zu Mitte. Doch manche denken hier zunächst, sie seien in Neukölln. All diese Leute sind durchweg ahnungslos. Denn in Moabit liegt, nicht mal besonders versteckt, auch ein solventer Kiez. Wenn man sich etwa in Essener oder Bochumer Straße umsieht, wird klar, dass es in dem schmalen Streifen zwischen Alt-Moabit und Spree ein paar Wohlhabende gibt – „die Bonner“ sind hergezogen, mehr oder minder noble Bars haben sich etabliert, und seine Kleinkinder schiebt man in Vorzeigekinderwagen umher.
Insofern ist der Ort für eine Buchhandlung richtig gewählt. Besonders, wenn sie eine besondere sein will. Die Buchkantine, die sich in der Essener Straße 11, unweit vom U-Bahnhof Turmstraße angesiedelt hat, ist so eine besondere Buchhandlung. Das Konzept ist recht simpel – man habe Lounge und Buchhandlung, also mehrere Leidenschaften miteinander verbinden wollen, sagt Frederick Herbers, Gründer und Geschäftsführer der Buchkantine. Herbers hat seit seinem Studium den Moabiter Kiez lieb gewonnen, ihn zieht nichts nach Mitte oder Kreuzberg. Moabit hat eine gewachsene Gutbürgerlichkeit, das kommt Herbers’ unternehmerischem Interesse entgegen.
Die Buchkantine, die tagsüber auch als Café fungiert, bleibt geöffnet, wenn ihr Buchhandelsteil schließt. Es gibt also zwei Öffnungszeiten: Nach 20 Uhr werden die Bücher hinter Schiebetüren verborgen, und dann wird die Buchkantine wie eine der Bars in der Umgebung. Also ein bisschen kreuzbergsch und ein bisschen moabitig, als Bar nicht unbedingt etwas Besonderes.
Die Lounge ist in warmen Tönen gehalten, dazu leuchten Neonröhren hinter roten und gelben Plastikscheiben. Das eigens für die Buchkantine entworfene Mobiliar wirkt noch steif und ein bisschen kalt, man richtet die Ecken eben während des Betriebs ein. Die Bar ist laut Herbers auch nicht das Kerngeschäft, sie soll helfen, die Buchhandlung zu beleben. Hier soll der Abend mit Wein, Tee oder Bier – Cocktails gibt es nicht – ausklingen. Hingen nicht Werbebilder von Verlagen an der Wand, wäre die Buchhandlung, die man hier tagsüber vorfindet, abends gar nicht zu erahnen.
Die Buchhandlungsräume nutzen ebenfalls ein eigens entworfenes Einrichtungssystem. Anders jedoch als im „Loungeraum“ wirken sie wärmer. Geführt wird der Betrieb von Peter Farber, der einst bei Kiepert arbeitete und der mit Herbers ein Konzept entwickelt hat, um die Moabiter langfristig an die Buchhandlung zu binden. Vor der Eröffnung hat man Postkarten an die Haushalte im Kiez verschickt, und nach den jeweiligen Buchvorlieben gefragt. Daher hat das Kinderbuch im Sortiment der Buchkantine ein hohes Gewicht, zudem werden besonders Krimis feilgeboten. Letztere sind allerdings auch die Leidenschaft von Herbers und Farber.
Auch jede andere Belletristik findet sich hier, im Sachbuch hingegen wird noch probiert. Gerade baut man eine Kochbuchabteilung auf. Da die anderen Mitarbeiter gleichfalls gelernte Buchhändler sind, wollen auch sie ihre Lieblingsbücher an die Kundschaft bringen, das allerdings behutsam. Man bleibt vorsichtig. Zunächst einmal soll sich die Buchkantine etablieren. Denn der Buchhandel hat es nicht leicht, und in der deutschen Hauptstadt hat er es besonders schwer. In den vergangenen Jahren wurden viele Buchhandlungen geschlossen, nicht zuletzt eben auch Kiepert. Andererseits haben Ketten wie Weltbild Plus, Thalia und Hugendubel längst Fuß gefasst. Und dem Verdrängungswettkampf, den sich Filialisten leisten können, haben mittlere und kleinere Buchhandlungen kaum etwas entgegenzusetzen. Zudem fehlt es in dieser Stadt an Leuten, die zwischen Literatur und Hype unterscheiden können und auch noch Geld haben.
Insofern verwundern die wenigen Neugründungen der letzten Jahre, etwa die Filiale der Buchhandlung Schwarze Risse in der Kastanienallee oder Hundt Hammer Stein in Mitte, die offenbar bestehen können. Seit Ende Oktober will die Buchkantine dabei mitspielen. Selbst an mehr Service ist gedacht worden: Für Kunden, die es nicht aus dem Haus schaffen, bietet man sogar an, die Bücher kostenlos an die Tür zu bringen.
Inwieweit das Konzept der Buchkantine trägt, steht abzuwarten. Immerhin ist zu bemerken, dass hier die Buchhandlung die Leute zum Kaffee verlockt und der Kaffee zum Buch, abends kommen sie für ein, zwei Bier. Vielleicht haben Herbers und Farber ja einen Weg gefunden, um kleinen Buchhandlungen das Überleben zu sichern.