piwik no script img

Archiv-Artikel

„Es wäre zu leicht zu sagen, Arafat ist schuld“

Die Palästinenser sollten die Parlamentswahlen verschieben. Derzeit herrscht so ein Chaos, dass keine Liste vernünftig aufgestellt werden kann. Bei dem internen Streit geht es um Positionen, nicht um Generationen, sagt Exminister Amr

taz: Glauben Sie, dass die Parlamentswahlen planmäßig am 25. Januar stattfinden werden?

Nabil Amr: Das bezweifle ich. Nicht wegen der Israelis, sondern aufgrund unserer internen Situation. Das Chaos in Gaza und in Teilen der Westjordanland hilft nicht gerade. Ich dränge Abu Masen, die Wahlen zu verschieben.

Woher rührt das Chaos?

Ich glaube, wir brauchen Zeit und politischen Kontakt zu Israel, um den Waffenstillstand zu erneuern.

Das sind zwei verschiedene Themen.

Es hängt alles miteinander zusammen. Die gesamte Situation muss beruhigt werden. In der aktuellen Situation können wir keine Wahlen abhalten. Ohne Waffenstillstand wird Israel Hindernisse aufbauen für die Kandidaten und ihre Kampagne.

Was steckt hinter den Entführungen, den Unruhen und dem Chaos?

Es herrscht Verwirrung, denn wir haben keinen politischen Horizont, keine politischen Verhandlungen. Die Israelis sind wieder in Gaza mit ihrer so genannten Pufferzone – genauso wie hier im Westjordanland. Sehen Sie aus dem Fenster, wir können dort einen israelischen Panzer sehen. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich besetzt bin oder nicht.

Die Fatah hat sich in den letzten vier Wochen gespalten, tritt jedoch mit gemeinsamer Liste zu den Wahlen an. Was halten Sie von dieser Kompromisslösung?

Ich hätte zwei Listen vorgezogen. Denn jetzt haben wir eine sehr schwache Liste. Unter dem Druck einer Einigung haben wir den richtigen Weg verloren. Die Liste ist eine reine Fatah-Liste. Die Stärke der Fatah liegt aber in ihren Alliierten.

Wen meinen Sie?

Die Unabhängigen wie Hannan Aschrawi und Exfinanzminister Salam Fayyad, die nun mit einer eigenen Liste antreten. Solange wir nur mit Fatah-Mitgliedern antreten, verlieren wir politische Tiefe. Die Leute in Hebron können mit den Namen der Fatah-Kandidaten in Nablus nichts anfangen. Das wird das Ergebnis negativ beeinflussen. Wir brauchen starke Namen, bekannte Namen, Geschäftsleute, Intellektuelle, Leute aus der Handelsgewerkschaft, mit denen wir eine starke Liste bilden können.

Und dafür ist es nun zu spät?

Nicht, wenn wir die Wahlen verschieben.

Bereitet Ihnen das Aufkommen der Hamas Sorgen?

Nein, ich glaube, die Hamas kann allerhöchstens 25 Prozent gewinnen.

Und die Fatah?

40 Prozent für die Fatah.

Welche Lösung wünschen Sie sich für den Konflikt innerhalb der Fatah?

Wir brauchen als Erstes eine Konferenz. Wir stehen in harten Verhandlungen darüber. Viele der Mitglieder leben im Ausland. Wir wissen nicht, ob sie einreisen dürfen.

In den Medien heißt es, es geht um einen Generationskonflikt.

Glauben Sie das nicht! Sehen Sie mich an, zu welcher Generation gehöre ich? Keine Ahnung. Wichtig ist dein politisches Programm, deine politische Sprache, nicht das Alter. Die Positionen sind generationenübergreifend.

Worum geht es also?

Es gibt nicht das zentrale Thema. Wenn man über den militanten Weg spricht, dann kann man Leute finden, die heute dafür sind und morgen dagegen. Diese große Bewegung durchläuft eine historische Phase, um einen Weg zu finden, jetzt, nach der Etablierung der palästinensischen Autonomiebehörde.

Das wird aber auch Zeit.

Es ist nicht so leicht.

Es sind mehr als zehn Jahre vergangen.

Davon wurden fünf von einem schlimmen militärischen Konflikt mit Israel bestimmt. Es ist nicht so einfach, eine Bewegung von der Revolution wegzuführen hin zu einem Staatsgefüge. Das braucht Zeit, internationale Unterstützung, eine politische Atmosphäre und israelische Kooperation.

Es ist also nicht die Schuld von Jassir Arafat, nicht von Abu Masen.

Das ist die Situation. Es wäre zu leicht zu sagen, Arafat ist schuld.

Sie selbst waren doch der Erste, der seine Regierung verlassen hat.

Ja, das stimmt

Warum sind Sie damals gegangen?

Ich war komplett gegen die Militarisierung der Intifada und gegen den Weg Jassir Arafats, der gleichzeitig PLO-Chef war, Präsident und Chef der Autonomiebehörde. Ich forderte ihn auf, Dinge zu ändern, vor allem die Militarisierung der Intifada, weil sie unkontrollierbar wurde. Ich habe ihm 2000 geraten, das Friedensabkommen in Camp David zu akzeptieren, als ersten Schritt, den man anschließend mit Hilfe des Weißen Hauses fortsetzen könnte. Stattdessen verlor er alles.

Wie viele der palästinensischen Delegation in Camp David dachten wie Sie.

Nur vier oder fünf. Später hat sich das geändert. Die Situation ist für uns nicht besser geworden. In Camp David sprachen wir über die Teilung Jerusalems, und die Israelis akzeptieren das. Heute steht das überhaupt nicht mehr auf der Agenda. Wir wurden um Meilen zurückgeworfen. Wenn wir jetzt neue Verhandlungen beginnen, dann stehen wir unter dem Druck der Mauer, der Pufferzone in Gaza und Scharons Projekt. Er hat offenbar Geschmack an der Unilateralität gefunden. Es kann jedoch keinen unilateralen Frieden geben.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL