: Mit Freude Richtung Utopie tanzen
MUSIKTHEATER Von der Idee des Aufstands zu persönlichen Utopien: Im „Soundtrack to Utopia“ vertont das Gorki zukunftskritische Zuschriften des Publikums, erzählt Regisseurin Jorinde Dröse im Interview
Am Maxim Gorki Theater beschäftigt man sich jetzt mit den Utopien anderer. Bis Ende letzten Monats stand es jeder und jedem offen, einen Text – sei es ein Gedicht, ein Pamphlet, ein Flugblatt oder ein Manifest – einzusenden. Aus ausgewählten Werken komponierte unter anderen der Electro-Produzent Carsten „Erobique“ Meyer Lieder, die das Team um Regisseurin Jorinde Dröse unter dem Projektnamen „Soundtrack to Utopia“ zu einem Bühnenstück zusammengebastelt hat. Übrigens: Auch unsere Kolumnistin Esther Slevogt empfiehlt das Stück (siehe Seite 13).
■ „Soundtrack to Utopia“: Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, 26. April, 19.30 Uhr, weitere Aufführungen im Mai, 10–32 €
VON HENGAME YAGHOOBIFARAH
taz: Frau Dröse, in „Soundtrack to Utopia“ bringen Sie fremde Texte und Lieder auf die Theaterbühne. Wie kamen Sie auf die Idee?
Jorinde Dröse: Es ist die letzte Spielzeit am Maxim Gorki Theater unter der Intendanz von Armin Petras, und das Thema ist Aufstand. Ich interessiere mich generell dafür, was andere Menschen denken, und ich finde es spannend, eine Meinungsvielfalt ins Theater zu holen. Carsten Meyer hat zusammen mit Jaques Palminger vor vielen Jahren ein Projekt am Maxim Gorki Theater angefangen, das hieß „Songs For Joy“. Sie hatten ebendieses Prinzip, sich Texte schicken zu lassen, diese zu vertonen und sie aufzuführen. Da habe ich gedacht: Ach, das ist toll. Oft sind politische Themen so trocken, dass man denkt, man kann sie nicht mit einer Lust verbinden. Ich habe einfach Carsten Meyer angerufen und gefragt, ob er Lust hätte, so ein ähnliches Prinzip zu wiederholen.
Haben Sie das Konzept einfach übernommen?
Wir haben es etwas abgewandelt, weil wir es mit einer Gruppe von Schauspielern machen. Die haben damals tatsächlich nur die Lieder aufgeführt, wir versuchen auch eine Art von Rahmenhandlung aufzubauen.
Wenn politische Themen so trocken sind, gibt es dann nicht auch die Gefahr, dass die Musik genauso weltverbesserisch und belehrend wird, wenn man sie vertont? Wie gehen Sie damit um?
Der größte Indikator dafür ist Carsten Meyer, der mit einer ungeheuren Lust und Euphorie erst mal gegen alles ist, was keinen Spaß macht. Das Besondere an den Texten war, dass die meisten Zuschriften sehr mit sich und der Gegenwart beschäftigt waren.
An den Texten allein liegt es ja nicht. Wie gehen Sie da weiter vor?
Ich glaube, weil wir auch selber danach suchen, dass es auch nicht so ernstes Zeigefinger-Theater wird, suchen wir natürlich immer nach der Gegenposition. Danach, welche Musik uns am meisten Spaß macht. Wir haben zum Beispiel gestern einen Text geschickt bekommen, der um das Thema Angst kreist. Da war klar, dass man das nicht depressiv und belastend machen darf.
Wer waren denn die Leute, die Ihnen die Texte eingeschickt haben?
Das wissen wir nicht. Es haben auch ein paar Leute unter einem Pseudonym Texte eingeschickt. Wir haben Texte von Menschen, die tatsächlich Schreiberfahrung haben, aber auch von solchen, die überhaupt keine haben und sich eher mit dem Thema Utopie beschäftigt haben und was das für sie heißt.
Gibt es ein Thema, das besonders oft auftaucht?
Die realpolitischen Manifeste arbeiten sich alle an dem Thema Arbeit und Grundeinkommen für alle ab oder auch am Thema Bildung. Die Texte aus der Ich-Perspektive allerdings handeln davon, wie man heute sozusagen das eigene Ego-Schwein überwinden und wieder in der Gesellschaft politisch aktiv werden kann. Es gibt viele Texte, die so anfangen und dann so ein Negativ entwickeln, dass es eine Macht gegen sie gibt. Man kann ja das Thema Utopie ganz persönlich behandeln, und man kann eben versuchen, in einer Größe vom gesellschaftlichen Kontext zu reden.
Geht es jetzt also mehr um persönliche Befindlichkeiten oder um die ganz große Utopie?
Die meisten Einsendungen, die wir bekommen haben, sind eher persönlich. Ich fand das spannend, weil es eigentlich in unserer heutigen Zeit auch schwer ist, gesellschaftlich größer zu denken. Und dass es eine Tendenz gibt, wenn man versucht, größer zu denken, oft erst mal ins Negative zu gehen. Das haben auch die Schauspieler am Anfang formuliert, dass es für sie schwierig ist, über Utopien zu reden, weil die positive Benennung von dem, was man sich wünscht, leichter ist, wenn man sie privat beantwortet, und schwierig, wenn man sich gesellschaftlich nicht so identifiziert – oder auch der Gesellschaft irgendwie nichts mehr vorschreiben möchte oder immer aus dem Individuum heraus denkt. Schwierig ist da, etwas Allgemeingültiges zu benennen, das sich fernab von Klischees bewegt.
Wie haben Sie das Team dazu zusammengestellt?
Als Anfangszelle gab es die Dramaturgin Sybille Dudek und mich. Wir haben uns sozusagen das Thema ausgedacht. Wir haben bewusst das Thema Utopie ausgesucht, damit man etwas Visionäres entwickelt. Dann kamen Susanne Schubert als Bühnen- und Kostümbildnerin und Carsten Meyer als Musiker dazu. Der wiederum hat gesagt, er kenne eine ganz tolle Hamburger Künstlerin, die sowohl singt und Songwriterin als auch Filmemacherin ist: Sophie Augusta Kennedy. Die hat er als musikalische Unterstützung mitgebracht.
Der musikalische Teil kommt somit aus Hamburg …
Und ich wiederum hab dann einfach überlegt, wem aus dem Ensemble so eine Art von Projekt Spaß machen könnte. Es ist jetzt Johann Jürgens mit dabei, der auch selbst Musik macht und schreibt. Vielleicht erweitern wir das Team auch noch, und andere aus dem Ensemble treten auf.