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Archiv-Artikel

Kreatives Schauturnen

Die Bewerberschau zum Hamburg-Stipendium bietet interessante Einblicke in frische, junge Kunst

von Hajo Schiff

Die Fülle und das thematische Durcheinander treffen präzise die Situation: Wenn sich 40 Künstlerinnen und Künstler für ein Stipendium bewerben, ist die Anmutung zwischen Hochschulwirrwar und Museumskühle genau richtig. Einst nur ein Schritt auf dem Auswahlprozess von über hundert Bewerbungsmappen zu zehn Stipendien ist das jährliche künstlerische Schauturnen inzwischen zu einer der interessantesten Einblicke in frische Hamburger Kunst geworden.

Niemand hängt mehr ein Bild an die Wand oder stellt irgendwo ein Video ab. Es ist heute obligatorisch, die eigene Arbeit als eine Installation zu zeigen. Auch wenn Lutz Krüger die zwangsläufig gedrängte Situation in seiner Eingangsinstallation als schwarze „Group-Show“ reflektiert, die Jury hat eher unfreiwillig eine interessante Ausstellung junger Hamburger Kunst zusammengestellt. Und was da diesmal in den beiden Räumen des Kunsthauses wuchert, ist besonders vielversprechend.

Nur ein Viertel der gezeigten Künstlerinnen und Künstler können mit einem Stipendium beglückt werden. Aber immerhin gibt es Hamburgs vielleicht wichtigste und seit dem Beginn in 1981 nachweisbar erfolgreiche Künstlerförderung im ungekürzten Zehnerpack.

Allerdings gehen die Stipendien buchhalterisch relativ simpel inzwischen zu Lasten der sonstigen freien Künstlerförderung – und der monatliche Betrag von rund 850 Euro wurde seit langem nicht an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst. Das Klischee des armen, leidenden und deshalb besonders guten Künstlers ist wahrscheinlich unausrottbar. Und wenn Dirk Meinzer seine afrikanische Palmenhütte zeigt, samt mit lockerem African-Reggae unterlegtem Video über seine dort gebaute Destillieranlage, mag man es selbst gar glauben.

Auf seltsame Weise aus der Welt gefallen scheint auch Tobias Regensburger: Sein im Dunkel eines Verstecks verborgener, verstaubter Arbeitstisch scheint einem in der Zeit verloren gegangenen Elektrobastler zu gehören. Mysteriös auch Olaf Böckmann: Sein Video „Warum ich das gemacht habe“ ist ein scheinbarer Mitschnitt eines Therapiegesprächs, bei dem ein Vermummter stockend von lange zurückliegenden Fürchterlichkeiten berichtet.

Obwohl ganz diesseitig in ihrer dinghaften Präsenz, bleiben auch die rollenden Skulpturenmöbel von Tine Bay Lührssen in ihrem Sinn und Zweck völlig rätselhaft. Und gerade solche fremdartigen Sichtweisen möchten die Künstler den übrigen gerne aufzwingen: „Mein Hirn will es so“ steht auf der dreidimensionalen Ornamentcollage von Oliver Ross, und Philipp Bergmeister projiziert gar widersinnige Verbotsschilder in den städtischen Raum.

Doch keineswegs alle Künstler arbeiten mit Verrätselung, Gebrochenheit und Größenwahn. Thorsten Brinkmann beispielsweise erforscht, was die Dinge wollen. Seine schrägen Abarbeitungen an exemplarischen Objekten sind nicht nur komische Videoauftritte, sondern auch ernsthafte Paraphrasen über das Design. Minimalistisch lapidar dagegen sind die kunsttheoretischen Reflexionen von Jan Holtmann: er lässt als Hommage an Walter de Maria und Jackson Pollock eine Kerze waagerecht abbrennen oder verschickt „Autonome Farbe“ mit der Post.

Manche Künstler spielen mit dem wissenschaftlichen Ansatz, so die fast schon museumspädagogische Projektion von Frank Hesse über Josef Pallenberg, der die Dinosaurier bei Hagenbeck gebaut hat, oder die langjährige Auseinandersetzung von Katharina Kohl mit den „Las Meninas“ von Diego Velasquez. Und die kriminalistische Hochgeschwindigkeitsfotografie vom Durchschlag eines Projektils durch ein Hindernis scheint bei Peter Lynen für eine sehr abgedrehte Materialinstallation Pate gestanden zu haben.

Nicht nur für diese Ausstellung, vielleicht gar für die akademisch geprägte und aus bekannten Versatzstücken zusammengesetzte heutige Künstlerexistenz an sich gilt der Text zu Wolfgang Schindlers Beitrag: „Niemand käme auf den Gedanken, dass die Sachen in meinem Schrank in einem Zusammenhang stehen würden ... aber letztendlich kann diese Art und Weise der scheinbar sinnvollen Verbindung zwischen Dingen, welche eigentlich nicht so verbunden werden können, zur Grundlage des eigenen Denkens und Handelns werden.“

Wie die Jury die diversen sichtbar werdenden Zusammenhänge bewertet, wird gegenüber der Öffentlichkeit traditionell nicht begründet. Aber vielleicht werden unter den zehn Mitte Januar für 2006 ausgewählten Stipendiaten einige sein, die auch auf der persönlichen Bestenliste stehen.

Di–So 11–18 Uhr, Kunsthaus, Klosterwall 15; bis 8. Januar