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Archiv-Artikel

Die Heimat des Berserkers

BREMEN Der Schauspieler Josef Bierbichler gilt bei Theaterkritikern als ein Berserker, der nicht nur auf der Bühne gerne kräftig austeilt. Am Dienstag kommt er mit seinem autobiografischen Familienroman „Mittelreich“ in die Schwankhalle

Pankraz hätte ihm gern den Rucksack getragen und beim Schießen geholfen, schließlich sollte der Krieg nur so lange wie die Ferien dauern

VON JENS LALOIRE

Seit knapp fünfzig Jahren bewegt sich der 65-jährige Schauspieler Josef Bierbichler auf den renommiertesten Bühnen des deutschsprachigen Raums. Ob Wien, München, Hamburg oder Berlin – überall hat der Bayer gespielt und sich mit seiner kraftvollen Schauspielkunst einen Namen gemacht. Zweimal ist er von der Zeitschrift Theater heute zum Schauspieler des Jahres gekürt worden. Hinzu kommen zahlreiche Filme, in denen er seit den Siebzigerjahren mit Regisseuren wie Werner Herzog, Herbert Achternbusch oder Tom Tykwer zusammengearbeitet hat. 2009 war er unter anderem im Kino in Michael Hanekes preisgekröntem Film „Das weiße Band“ und zuletzt in der ZDF-Serie „Verbrechen“ zu sehen. Im vergangenen Jahr sprach er den Joe Hynes im Hörspiel Ulysses nach James Joyce – mit über 22 Stunden das längste Hörspiel des Südwestrundfunks.

Bierbichler gilt als bodenständiger Typ, zugleich gebärdet er sich als Ungezähmter, der sich weder vom Theater noch vom Film bändigen lässt und auch gerne mal austeilt. Seine ambivalente Haltung zum Theater brachte Bierbichler in seinem ersten Buch zum Ausdruck. „Verfluchtes Fleisch“ von 2001 ist eine Mischung aus Essay, Prosa und Tagebuch. Der Schauspieler watscht in diesem Sudelbuch den etablierten Kulturbetrieb mächtig ab.

Sein Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm allerdings erst 2011 mit seinem, vom Feuilleton geradezu euphorisch aufgenommenen Romandebüt „Mittelreich“. Bierbichler erzählt von einer Bauern- und Wirtsfamilie, die in einem Dorf am Starnberger See lebt. Diese autobiografisch gefärbte Familiengeschichte erstreckt sich über drei Generationen und umfasst beinahe das gesamte 20. Jahrhundert.

Im Zentrum steht Pankraz, der zweitgeborene Sohn der Familie, der erst acht Jahre alt ist, als sein Bruder euphorisch in den Ersten Weltkrieg zieht. Pankraz hätte ihm gern den Rucksack getragen und beim Schießen geholfen, schließlich sollte der Krieg nur so lange wie die Ferien dauern. Doch daraus wird nichts, und der ältere Bruder kehrt mit einer Kugel im Kopf zurück. Pankraz muss den Hof übernehmen und durch das Dritte Reich, den nächsten Krieg und die Nachkriegsjahre leiten – obwohl er eigentlich Sänger werden wollte. Bierbichler erzählt bissig und humorvoll in einer saftigen Sprache vom bayrischen Dorfleben, Fremden- und Judenhass, von Kriegen, Missbrauch, unterdrückter Liebe und dem Einzug des Fortschritts.

Er bietet ein vielfältiges Figurenkabinett auf, das über die Jahre verstärkt aufgemischt wird durch die Großstädter, die den See als Ferienort entdecken und die Dorfisolation aufbrechen. Am Dienstag liest Bierbichler im Rahmen der Reihe „Feinkost Wandel“ in der Schwankhalle aus seinem Roman und steht anschließend zum Gespräch bereit.

■ Dienstag, 20 Uhr, Schwankhalle