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Archiv-Artikel

Sein Krampf

FIKTION Am 30. April vor 68 Jahren starb Hitler. In Timur Vermes’ Bestseller kehrt er zurück. Warum?

AUS MÜNCHEN STEPHANIE DE LA BARRA

Manchmal weiß man nicht, wer gerade spricht. Ist es Timur Vermes selbst, Adolf oder sein fiktiver Buch-Hitler? Der Autor wechselt Persönlichkeiten, spricht zwischen den Ebenen. Dann zwickt er die Augenbrauen zusammen, sitzt steif, bellt durchs Café: „Um 5.45 Uhr wird zurückgeschossen!“ Der Kellner guckt, als wollte er sagen: Ist schon recht, aber bitte nicht im Café. Hitler parodieren, „das schafft fast jeder, aber ich wollte für das Buch echt Hitler’sche Inhalte“ – aus ‚Mein Kampf‘.

Ein Treffen mit Timur Vermes im Café Dallmayr, München, knapp zweihundert Meter entfernt von der Feldherrnhalle, wo Hitler 1923 zu putschen versuchte.

Vermes bestellt – jetzt ist er wohl wieder er selbst – einen Kaffee. Er fällt auf durch seine Unauffälligkeit, schlicht gekleidet, schmächtig, sanfte Augen, Glatze. Rundherum schicke Münchner, Holztischchen, Torten in der Vitrine. Vermes ist Journalist, hat unter anderem bei der Münchner Abendzeitung geschrieben. Im vergangenen Herbst hat er seinen Debütroman „Er ist wieder da“ veröffentlicht. Darin erwacht der historische Hitler 2011 unversehrt in Führeruniform in Berlin-Mitte, wird groß durch Fernsehen und YouTube, erzählt aus der Ich-Perspektive. Das Buch führt immer noch die Bestsellerlisten an. In 27 Sprachen übersetzt, eine halbe Million Exemplare verkauft.

Wochen nach der Veröffentlichung hagelte es Verrisse, auch in der taz. Trotzdem ist das Buch ein voller Erfolg. Hitler zieht immer, und Vermes spielt damit. „Ein Hingucker“, nennt er das Cover. Schwarzer Seitenscheitel und Hitler-Bärtchen auf weißem Hintergrund. Reines Kalkül, wie der Preis: 19,33 Euro. Die Leute greifen zu. Was Vermes und dem Eichborn-Verlag, der 2011 Konkurs anmeldete und bei Bastei Lübbe unterkam, gut passte.

„Klar, Hitler ist immer ein Lacher. Aber mittlerweile bekommen wir ihn entweder als Witzfigur oder als Monsterfigur.“ Vermes ist überzeugt, die große Ausnahme zu sein, es anders zu machen. Dem Leser einen sinnvollen Mehrwert an Hitler bieten zu können. Er glaubt das wirklich. „In meinem Buch bekommt man den echten Hitler mitgeliefert. Das hat einen Grusel.“

Aber nicht nur sein Buch ist gruselig gespickt mit Zweideutigkeiten, auch Vermes selbst formuliert irritierende Gedanken. Er sagt: „Wir machen aus Hitler eine fiktive Figur“, wir würden ihn mit der bösen Hexe aus Hänsel und Gretel gleichsetzen, „Hitler rennt nicht herum und erschießt Leute, er ist Bürokrat.“ Vermes gibt Hitler recht, wenn er über Parlamente und die Demokratie an sich herzieht. „Das stimmt, das hat er richtig beobachtet.“ Er findet: „Eine klare Sprache ist attraktiver.“ Er sagt das leichtfüßig. „Jetzt ist die Frage: Nur weil Hitler etwas richtig beobachtet, kann es nicht stimmen?“ Die Feldherrnhalle in Rufweite, und da sitzt einer in diesem feinen Café und pflichtet Hasspredigten über Demokratie bei. Man will es ihm nicht abnehmen – genauso wenig wie das, was er dann sagt: Er wolle mit „Er ist wieder da“ die Demokratie verteidigen.

Vermes wurde 1967 als Sohn eines Ungarn und einer Deutschen in Nürnberg geboren, sein Interesse an Hitler begann früh. Er war in der zweiten Klasse, als er ihm zum ersten Mal begegnete. Das ZDF strahlte den Film „Der längste Tag“ aus, und Vermes durfte mitgucken, mit der Mama. Da sieht er Deutsche, die „schon wieder“ einen Weltkrieg verlieren. Kein Wunder, wenn der Führer nicht geweckt werden darf, obwohl die Invasion droht. „Ich hätte das anders gemacht.“ Vermes lässt die Finger in kleinen Hüpfern über den Tisch vorwärtsrücken. „Immer ein Land nach dem anderen erobern. So hätten das meine Cowboys auch gemacht.“ Feldzüge im Kinderzimmer, Cowboys gegen Indianer. Es wäre sinnlos gewesen, alle Stämme gleichzeitig anzugreifen. „Da kann man nur verlieren.“

Für das Buch wollte er den echten Hitler. Dessen „gedrechselten Duktus“ parodieren, der ihn so fasziniert. Im Internet hat er sich „Mein Kampf“ besorgt. Schwierig zu bekommen war das Buch nicht, schwieriger die Lektüre. „Man schafft nicht mehr als zwei Seiten am Tag. Abends nur eine halbe, dann schläft man ein.“ Seite um Seite ein Kampf, nicht nur mit der Trägheit, sondern auch mit einer Erkenntnis, die erschreckt. „Ich kann das stellenweise nachvollziehen.“ „Mein Kampf?“ „Ja, sicher.“

Seine Augen funkeln vor Erregung über seinen eigenen Satz. Dann nimmt er den letzten Schluck Kaffee, als wolle er Raum schaffen für die Irritation. Ja, Vermes will irritieren. Mehr scheint nicht dahinterzustecken. Höchstens noch Kalkül.