: „Nur entschuldigen reicht nicht“
GASTBEITRAG Deutschland muss seine Bürger besser vor Rassismus schützen – wenn nötig, auch per Gesetz, sagt die Menschenrechtlerin Beate Rudolf
■ Seit 2010 leitet die Juristin das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIM) in Berlin. Das DIM ist eine unabhängige Institution der Zivilgesellschaft, die nach einem Beschluss des Deutschen Bundestags 2001 gegründet wurde, um internationale und europäische Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte bekannter zu machen.
INTERVIEW VON DANIEL BAX
taz: Frau Rudolf, am Donnerstag hat sich Deutschland vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf für das Behördenversagen bei der NSU-Mordserie entschuldigt. War das glaubhaft?
Beate Rudolf: Es war sehr wichtig, dass der Menschenrechtsbeauftragte in diesem Gremium um Entschuldigung gebeten hat. Das war sehr ernsthaft und glaubwürdig. Hierbei kann es die Bundesregierung natürlich nicht bewenden lassen. Sie hat ausdrücklich zugesagt, dass sie ihre bisherigen Anstrengungen beim Schutz vor Rassismus kritisch überprüfen will. Daran muss sie sich messen lassen.
Im Menschenrechtsrat sitzen auch ausgewiesene Schurkenstaaten. Wie seriös können dessen Empfehlungen da sein?
Es kommt nicht darauf an, wer etwas sagt, sondern was er sagt. Seriös sind Empfehlungen, die sich an den Empfehlungen der UN-Kontrollgremien orientieren. Die Staaten reagieren natürlich unterschiedlich darauf. Nordkorea hat sie zum Beispiel beim letzten Mal nur zur Kenntnis genommen. Aber Deutschland will anderen ja ein Vorbild sein. Darum muss es das Gremium ernst nehmen.
Der Antirassismus-Ausschuss der UNO hat jüngst gerügt, Deutschland habe seine Bevölkerung im Fall Thilo Sarrazin nicht genug vor rassistischen Äußerungen geschützt. Was folgt für Sie daraus?
Diese Entscheidung geht über den Einzelfall hinaus. Rassismus, wenn er nicht in Verbindung mit Rechtsextremismus auftritt, wird hierzulande oft nicht als solcher wahrgenommen. Es gilt die Justiz dafür zu sensibilisieren, dass er auch aus der Mitte der Gesellschaft kommen kann.
Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, der CDU-Politiker Siegfried Kauder, meint, wenn das Gesetz nicht greife, müssen man es verschärfen. Hat er recht?
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Äußerungen Sarrazins nicht als rassistisch gewertet, obwohl sie mit krudestem Biologismus verbunden waren. Seit dem Zeitpunkt dieser Entscheidung hat sich – im Zuge der Umsetzung einer EU-Vorgabe – der genaue Wortlaut des Gesetzes aber verändert. Jetzt wird deutlich, dass auch dann ein Angriff auf die Menschenwürde vorliegt, wenn die Betroffenen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer „rassischen Gruppe“ beschimpft werden. Es gibt aber keine systematischen Erkenntnisse darüber, ob die Justiz seitdem anders handelt. Das ist wichtig, um zu beurteilen, ob eine bessere Schulung von Richtern und Staatsanwälten ausreicht – oder eine Änderung der Strafgesetze nötig ist.
Wiegt die Meinungsfreiheit nicht viel schwerer?
Die UN-Antirassismus-Konvention ist da eindeutig. In den USA etwa wird anders abgewogen, weil die Meinungsfreiheit als höchstes Grundrecht angesehen wird. Darum herrscht dort die Haltung vor: Gegen „bad speech“ hilft nur „more speech“. Aber natürlich gibt es auch in den USA Grenzen der Meinungsfreiheit. Sie liegen dort, wo zu Gewalt aufgerufen wird. Das ist, im Lichte unserer internationalen Verpflichtungen, aber nicht übertragbar. Nach der UN-Antirassismus-Konvention ist bereits die Verbreitung rassistischen Gedankenguts zu bestrafen.
Lässt sich Rassismus denn per Gesetz bekämpfen?
■ Am Donnerstag hat sich der UN-Menschenrechtsrat in Genf turnusgemäß mit der Lage der Menschenrechte in Deutschland beschäftigt. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), entschuldigte sich dort für die vielen Fehler bei den Ermittlungen zur Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe NSU. Die rassistisch motivierten Morde stellten „ganz ohne Zweifel eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in den letzten Jahrzehnten in Deutschland“ dar, sagte Löning.
■ Der Menschenrechtsrat umfasst 47 Mitglieder, aber alle UN-Mitgliedsländer dürfen in den Anhörungen Fragen stellen. Wie alle 193 UN-Mitgliedsländer muss sich auch die Bundesrepublik regelmäßig alle vier Jahre einer Überprüfung vor diesem Gremium stellen. Der Menschenrechtsrat wird bis nächste Woche Empfehlungen formulieren, die Deutschland annehmen oder ablehnen kann.
■ In der Woche zuvor hat der Antirassismus-Ausschuss der UNO den Umgang der deutschen Justiz mit Thilo Sarrazin gerügt, weil sie gegen ihn kein Verfahren wegen Volksverhetzung zugelassen hat. In dem UN-Gremium in Genf sitzen 18 unabhängige Experten, die in ihren Ländern hohe Ämter inne haben. Sie haben den Auftrag, die Umsetzung der UN-Antirassismus-Konvention durch die UN-Mitgliedsstaaten zu kontrollieren. Die Experten reagierten auf eine Individualbeschwerde des Türkischen Bunds Berlin-Brandenburg (TBB). Deutschland hat jetzt 90 Tage Zeit, darauf zu antworten.
Die strafrechtliche Sanktionierung ist das letzte und schärfste Mittel. Das wirksamste Mittel liegt in der öffentlichen Debatte. Das Problem dabei ist, dass diejenigen, die von Rassismus betroffen sind, oft nur wenig Gehör finden, ihre Kritik wird oft als Überempfindlichkeit abgetan. Das Verständnis muss wachsen, dass Rassismus in jeder Form die Grundlagen des Miteinanders untergräbt.
Macht ein Verfahren die Angeklagten nicht erst recht zu Märtyrern? In den Niederlanden nutzte der Rechtspopulist Geert Wilders ein Verfahren gegen ihn für seine Zwecke.
Ein strafrechtliches Verfahren erlaubt es dem Angeklagten, sich als Opfer zu inszenieren, das ist richtig. Aber dieses Risiko ist in Kauf zu nehmen. Der Rechtsstaat kann deswegen nicht auf Strafverfolgung verzichten. In der öffentlichen Debatte ist zu thematisieren, dass hier ein Angriff auf die Grundfesten unseres Gemeinwesens sanktioniert wurde.
Wie bewerten Sie die Aufarbeitung der NSU-Affäre?
Der Fokus in den Untersuchungsausschüssen liegt auf dem Umgang mit V-Leuten und dem Informationsaustausch. Deshalb betreffen die Lösungen, die diskutiert werden, nur diesen Bereich. Die Frage, warum ein rassistisches Motiv der Morde vorschnell ausgeschlossen wurde, ist bislang noch offen. Mein Wunsch wäre, dass sich der neue Bundestag damit beschäftigt – und daraus dann Konsequenzen für die Polizeiarbeit zieht.
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