Berliner Platten: Zwei Optionen auf den Schmusesoul, einmal mit Kitsch und zum Zweiten kunstfertig kühl: die neuen Alben von Senait Mehari und San Glaser
Es ist vieles gesagt worden über Senait Mehari, manches davon war nicht allzu nett, das mit Abstand meiste aber stets sehr vorsichtig formuliert. Denn schließlich wurde die Sängerin nicht nur im Jahr 2003 von der taz in die nationale Ausscheidung zum Grand Prix mit einem von einem taz-Leser gedichteten Song geschickt, sondern bereits Jahre zuvor in ihrer Heimat Eritrea als sechsjährige Kindersoldatin in einen Krieg. Vielleicht sollte man von jemandem, der in einem Koffer in einem Guerilla-Camp abgeliefert wurde, nicht erwarten, dass er das Leben mit einem gewissen ironischen Abstand zu sehen in der Lage ist. Aber muss die Betrachtung gleich mit solch lieblos ausgestanzten und austauschbaren Gefühlsschablonen stattfinden wie auf „Mein Weg“?
Immerhin hat Mehari, mittlerweile 30 Jahre alt und in Berlin ansässig, mit der Veröffentlichung ihres ersten komplett selbst geschriebenen Albums eines vorgemacht: Wie man sich von einer vorprogrammierten Karriere als Schlagersternchen emanzipiert. Dazu musste sie allerdings mit „Feuerherz“, ihrer bestsellernden Autobiografie, erst einmal die eigene Lebensgeschichte erfolgreich ausschlachten. Der Albumtitel „Mein Weg“ suggeriert ein ähnliches Prinzip, und auch wenn sie mit gequälter Stimme „Ich bin okay“ versichert, die dreizehn Songs geben sich herzlich unkonkret und verlieren sich in Binsenweisheiten zu Beziehungsproblematiken. Dabei übernimmt meist der Kitsch so ungebrochen die Regie zwischen Schmusesoul und Mainstreampop, dass Mehari leider ausgerechnet zurückfindet in das Schlagergeschäft, von dem sie sich doch so ausdrücklich hatte verabschieden wollen.
Wer sich in den letzten Jahren ernsthaft besorgt gefragt haben mag, wohin sich eigentlich Sade hin verabschiedet hat, der sollte sich womöglich mit dem Gedanken anfreunden, dass die Königin des Cocktail-Jazz als San Glaser reinkarniert wurde. Als Tochter einer holländischen Mutter und eines indonesischen Vaters, und das allerdings schon vor 37 Jahren, was dann zeitlich nicht ganz hinhaut, aber wer weiß schon, wie Seelenwanderung exakt abläuft. Denn die Indizien sind überwältigend: Selten seit „Smooth Operator“ wurden so wohltemperiert Stimmbänder verknotet. Hilfreiche Ratschläge wie „Don’t be afraid of love“ oder der Hinweis, doch bitte an Wunder zu glauben, werden so kunstvoll verschnörkelt und technisch kunstfertig zum Vortrag gebracht, dass sich mitunter allerdings die Seele aus dem Soul zu verflüchtigen droht.
Diese fast schon akademische Kälte der Aufnahmen von „Never in vain“ dürfte zwar nicht eingeplant gewesen sein, lässt die in Berlin lebende Niederländerin allerdings wohl exakt dieselbe Zielgruppe ansprechen wie eine Norah Jones – auch wenn die Grundlage von deren Sound eher der Country ist, während Glaser viel eindeutiger vom Jazz kommt. Nicht umsonst ist ihr Produzent allerdings auch der von Stefan Gwildis, der ja schon seit längerem geschmacksneutrale und vor allen stilistischen Ausrutschern abgesicherte Unterhaltung für erwachsene Menschen auf den Markt wirft. THOMAS WINKLER
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