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Archiv-Artikel

Yeasayer: wankelmütige Unausgegorenheit statt Ohrwürmern

„Geschenke sind immer verdorben für die, die sie vor dem eigentlich angedachten Zeitpunkt öffnen“, twitterte Anfang Dezember, rund zwei Monate vor dem eigentlichen Veröffentlichungsdatum ihres Albums „Odd Blood“, die US-Band Yeasayer.

Ihr zweites, in Indie-Kreisen heiß ersehntes Werk war zuvor für jedermann zugänglich, aber illegal im Internet gestreamt worden. Nun stehen die in der Hipness-Hochburg Brooklyn beheimateten Yeasayer auch nicht unbedingt auf Kriegsfuß mit den Herausforderungen, die das 21. Jahrhundert an die Vermarktung von Musik stellt. Vielmehr haben sie wie andere Hotshots der Nullerjahre auch freie Distributionskanäle fleißig zur Promotion genutzt. Als sie vor drei Jahren aus dem Nichts auftauchten, löste ihr im Netz veröffentlichter Song „2080“ Begeisterungswellen in der Blogosphäre aus. Das facettenreiche Debütalbum „All Hour Cymbals“ vereinte dann psychedelischen Pop, Experimente und eine positiv konnotierte Weltmusik – untermalt von atmosphärischen Synthesizer-Klängen und getragen von vielstimmigem Harmoniegesang.

Von der Ohrwurmqualität einiger Songs ihres Debütalbums noch berauscht, gestaltet sich das Eintauchen in den Nachfolger mit abermals psychedelisch-trashigem Plattencover etwas schwieriger. Der Sound der 80er-Jahre hat sich zwar als nahezu unerschöpfliche Goldgrube für Neueste-heiße-Scheiß-Acts erwiesen, er birgt jedoch auch Untiefen, in die man als ein der Epoche Entwachsener oder nie darin Sozialisierter lieber nicht mehr eintauchen möchte.

„Odd Blood“ ist mit allen 80er Dance-Wässerchen gewaschen und legt unter dem Deospray der Aerobictreibenden auch noch Schweißgeruch frei. Synthie-Gedudel, Science-Fiction-Nachhall und schmachtende Textzeilen fordern stellenweise dazu auf, Berührungsängste zu Kitsch und Überproduziertem abzubauen. So wird der Kopf frei für jene Momente, in denen der Sound einem geradewegs in die Eingeweide fährt. Auch wenn es bei Yeasayer momentan weniger der tribalen Rhythmik und des zwischen Weirdo-Folk und Gospel angesiedelten Chorgesangs gibt, so bietet die Band trotz streckenweiser artifizieller Dunstwolken nach wie vor elektrifizierende Musik.

Die Upbeat-Singleauskopplung „Ambling Alp“ ist ein gelunger Mix aus melodiös-antreibenden Beats, poppig-glattem Refrain und schräger Überhöhung im vielstimmigen Gesangspart.

Die Band ist vom Quartett zum Trio geschrumpft. Schlagzeuger Luke Fasano hat Yeasayer verlassen. Doch Leadsänger Chris Keating, der beim Performen auch an Knöpfen für ein computergeneriertes Soundgewäsch dreht oder sich exaltiert-theatralischen Bewegungsschüben hingibt, deckt nun auf „Odd Blood“ eine noch größere stimmliche Bandbreite ab: von Falsetto über frenetisch-gepresst bis zu R’n’B. Das führt bisweilen dazu, dass sich zugetane Hörer, die das Yeasayer-Oeuvre zu kennen meinen, ob der stimmlichen Eskapaden ungläubig am Kopf kratzen. Als Ganzes genommen, hängt das Album aber in der Luft.

Vielleicht muss man „Odd Blood“, das alles tut, um bloß nicht auf ausgetretenen Pfaden eindimensional daherzutönen, aber auch aus einer ganz anderen Perspektive betrachten: Yeasayers zweites Album bietet zwar wenige herausragende Songs mit hohem Wiedererkennungswert, doch – wegen der vielen Wendungen auch innerhalb eines Liedes – zahllose wiedererkennbare Songteile. Euphorischer formuliert hieße das: endlich mal wieder ein Album, bei dem man sich wegen der wankelmütigen Unausgegorenheit zugleich freuen und ärgern kann.SARAH ANTONIA BRUGNER

Yeasayer: „Odd Blood“ (Mute)