: Gesichert ist nur die Existenz der Tafeln
SOZIALES Wie werden wir die Lebensmitteltafeln wieder los? Darüber diskutierte das Aktionsbündnis „Armgespeist“ mit vielen Gästen am Freitagabend
Es hat sich Frust angestaut an den Tafeln. Das war nicht zu übersehen bei der Podiumsdiskussion des Aktionsbündnisses „Armgespeist“ am Freitagabend. Da ist zum Beispiel dieser junge Mann aus Chemnitz, der von seinen Tafel-Erfahrungen erzählt.
Fernsehproduktionsfirmen hätten an den Schlangen vor der Tafel nach neuen Kandidaten für Scripted-Reality-Formate gesucht. Die Waren seien oft verdorben gewesen. „Ich habe das Essen als Müll bezeichnet“, sagt er. „Dann habe ich Hausverbot bekommen, weil ich mich nicht dankbar gezeigt habe.“
Das ist einer der Gründe, warum die Sozialwissenschaftler Stefan Selke und Luise Molling vom Aktionsbündnis dieses Podium im „Supermarkt“ in der Brunnenstraße organisiert haben: weil sie die Tafeln als ein willkürliches Almosensystem ansehen, das sich immer weiter ausbreitet, während der Sozialstaat erodiert. Sie möchten eine Diskussion über eine angemessene Existenzsicherung in Gang setzen. Ihr Ziel ist, dass die Tafeln langfristig verschwinden. Eigentlich wollen das alle bei der Podiumsdiskussion im „Supermarkt“ in der Brunnenstraße. Die Frage ist nur, wie.
Auch die Gründerin der ersten Tafel in Deutschland, Sabine Werth, ist gekommen. Sie erzählt, wie die einstige Nothilfe für Obdachlose wie von allein immer größer wurde. „Es kamen immer mehr soziale Vereine zu uns, denen es darum ging, einmal die Woche etwas kochen zu können oder ein Frauenfrühstück anzubieten“, sagt die Gründerin der Berliner Tafel. 20 Jahre später ist die Armenversorgung mit über 900 Tafeln nahezu flächendeckend in Deutschland zu finden. 1,5 Millionen Menschen nutzen die Tafeln.
Sabine Werth muss an dem Abend viel Kritik einstecken. Sie wird gefragt, wie sie mit dem Widerspruch leben kann, dass die wichtigsten Unterstützer der Tafeln große Lebensmittelketten sind, die ihre Mitarbeiter schlecht bezahlen. „Damit muss ich leben“, sagt sie. „Wenn Kaiser’s eine Mitarbeiterin wegen 1,20 Euro entlässt, muss ich trotzdem am nächsten Tag mit dem Firmenchef vor der Kamera stehen und lächeln.“ Aber es gehe eben nicht mehr ohne die großen Konzerne, so wie es sich entwickelt habe.
Der Autor Holdger Platta warf Werth vor, dass die Tafeln kaum etwas tun würden, um die Politik unter Druck zu setzen. Im Gegenteil: Die Tafeln würden damit werben, dass sie sich auf die nächsten 15 Jahre freuten. „Das war der Bundesverband“, entgegnete Werth. „Sie haben recht, dass der politisch lauter werden muss. Ich fordere eine Veränderung der Gesellschaft.“
Doch wie kann man die Tafeln langfristig abschaffen oder Alternativen aufbauen? Hier fallen die Vorschläge eher dünn aus. Leopold Seiler stellte sein Mikrokreditsystem vor, mit dem er die Menschen aus der Armut helfen will. Damit rief er vor allem wütende Reaktionen im Publikum hervor. Dann kam der Sozialaktivist Michael Bättig, der dafür plädierte, dass die Armutsbetroffenen die Versorgung selbst organisieren müssen, ökologisch und sozial. Wie das genau funktionieren soll, ließ er offen. Eine Diskussion wird dafür auch nicht reichen. Sie fängt jetzt erst richtig an. MARTIN RANK