piwik no script img

Opfer unter Druck

RADSPORT Der frühere Teamchef Michael Holczer mimt im Betrugsprozess gegen den dopenden Profi Stefan Schumacher den Anti-Doping-Kämpfer. Gut macht er das nicht

AUS STUTTGART TOM MUSTROPH

Der Ort markiert den Abstieg. Zwar sind auch vor dem Saal 6 des Verwaltungsgerichts Stuttgart Fernsehteams versammelt, um dort die Auftritte des früheren Rennstallchefs Hans-Michael Holczer und seines einstigen Topangestellten Stefan Schumacher einzufangen; aber es sind nur zwei statt Dutzender Kameras wie etwa bei der Tour de France. Das Ambiente ist einfach ein anderes. Direkt vor Schumacher und Holczer wurde ein mutmaßlicher Totschläger zu dem Delikt und seinem Lebensweg befragt.

Bei diesen beiden geht es um vergleichsweise lässliche Dinge. Dem Rennfahrer wird vorgeworfen, seinen damaligen Arbeitgeber über Dopingpraktiken getäuscht und sich vertragswidrig drei Monatsgehälter in Höhe von insgesamt 151.463,50 Euro erschlichen zu haben. Anzeige hat aber nicht Holczer erstattet, sondern die deutsche Anti-Doping-Agentur Nada. Diese wollte gerichtsfest herausfinden lassen, wie es beim zweiten großen deutschen Radrennstall um Doping bestellt war.

Das Szenario vor Gericht ist relativ eindeutig. Der Angeklagte Schumacher gibt zu, gedopt zu haben. Getäuscht haben will er seinen Arbeitgeber aber nicht. „Holczer hat davon gewusst und es auch toleriert. Er hat die Ärzte eingestellt, die das Doping organisiert haben“, meint Schumacher. Holczer streitet dies ab.

Schumacher und seine Anwälte legen Details vor, die ihre Position erhärten. Schumacher wies darauf hin, dass bei den Deutschen Meisterschaften 2006 sowohl Holczer als auch der sportliche Leiter von Gerolsteiner, Christian Henn, sich so gut in den Dosierungen des Dopingmittels Synacthen auskannten, dass sie eine leistungshemmende Überdosierung vermuteten. Als „Doping-Hammer“ hatte der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke dieses Mittel einmal bezeichnet. Es stimuliert die Produktion von Cortisol und hilft, Schmerzen zu verdrängen. Henn und Holczer hätten ihn bei Verdacht nur gefragt: „Hast du zu viel geblasen?“, erzählte Schumacher munter vor Gericht.

Dass Teamärzte von Gerolsteiner aktiv in Doping involviert waren, illustriert eine Zeugenaussage des früheren Profis Bernhard Kohl. Der gab in Österreich zu Protokoll, dass ein Teamarzt während der Baskenlandrundfahrt 2008 mehreren Profis das Dopingmittel IGF-1 gespritzt habe. Die Zeugenaussage wurde verblüffenderweise von Schumachers Verteidiger Michael Lehner in den Prozess eingeführt. Staatsanwalt Peter Holzwarth erklärte später der taz: „Ich hatte erst nach Ende der Untersuchungen Kenntnis davon.“ Die Aussage passt nicht in das von der Staatsanwaltschaft gewollte Szenario mit einem betrogenen Rennstallchef. Der gab zu der Causa nur bekannt, dass er „extrem enttäuscht“ von Teamarzt Marc Schmidt gewesen sei. Dabei war es noch nicht mal Schmidt, der bei der Baskenlandrundfahrt die Spritze zückte, sondern ein zweiter Teamarzt.

Keine gute Figur gab Holczer auch am dritten Prozesstag ab, als er sich zunächst – unerlaubterweise – Kenntnis über die Zeugenaussage von Christian Henn verschaffte und dann trotz dieses Wissens nicht zu einer kohärenten Aussage in der Lage war. Während Henn ausschloss, dass es Hämatokritmessungen bei Gerolsteiner gegeben habe, gab Holczer an, diese Blutwerte aus einer Antidopingmotivation heraus ermittelt zu haben.

Die Außendarstellung von Team Gerolsteiner liegt mittlerweile so im Argen, dass man für die pharmazeutischen Praktiken in dem Rennstall Ähnliches vermuten muss. Ob tiefere Kenntnis darüber zu erlangen ist, ist indes fraglich. Zwar bemüht sich die Nada um Akteneinsicht. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart sagte der taz jedoch: „Gewöhnlich haben nur Prozessbeteiligte das Recht auf Akteneinsicht.“ Am Dienstag geht es in Stuttgart in die nächste Runde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen