DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Ohne Werbepause

WAS SAGT UNS DAS? Aktivisten wollen Berlin-Kreuzberg von Reklame befreien

Menschen, die zu wissen glauben, was gut für andere ist, sind anstrengend. Und sie sind viele: die Verkäuferin von der Käsetheke in meinem Supermarkt, Mütter, Väter, die Zeugen Jehovas. Und jetzt auch noch dieses „Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben“ in Berlin-Kreuzberg.

„Niemand soll immer mehr haben wollen müssen“, formuliert die Initiative „Die ReklamiererInnen“, die hinter diesem neuen Amt steckt, etwas umständlich und hat ansonsten ein klares Ziel: den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von Außenwerbung zu befreien.

So etwas gibt es bereits – und zwar in der brasilianischen Megacity São Paulo. Dort schaffte Bürgermeister Gilberto Kassab Neonanzeigen und Plakatwände mit Werbebotschaften im öffentlichen Raum bereits im Jahr 2010 ab. Vorher sei die Stadt verwirrend und hässlich gewesen, nun sei sie nur noch hässlich, soll ein Architekt nach der antikommerziellen Säuberungsaktion gesagt haben, schrieb damals die Süddeutsche Zeitung.

Mit derlei Äußerlichkeiten können sich „Die ReklamiererInnen“ nicht aufhalten. Die „Folgen der Werbung in der deutschen Öffentlichkeit“ stünden zur Debatte, schreiben die AktivistInnen in der Einladungsmail zur „feierlichen Eröffnung des Amts“ am vergangenen Samstag.

Wenn man schon so anfängt, dann müsste man tatsächlich mal über einiges reden. Und zwar zu allererst über Initiativen, die einen unbedingt – obwohl sie keiner darum gebeten hat – retten wollen: vor dem Verlangen nach Fischbrötchen („Fisch macht sexy“, Nordsee), vor schnellerem DSL (nicht die Telekom), vor dem größten Spaß unseres Lebens (Ausbildung bei Rewe), vor dem Verlangen nach irgendwas, was dann doch wieder nicht glücklich macht.

Was aber wiederum sehr glücklich macht: wenn einem zugestanden wird, dass man das mit dem „haben wollen müssen“ schon ganz allein hinkriegen wird. Und ansonsten selbst entscheiden darf, wie unglücklich – oder, tatsächlich, gut unterhalten – man sein möchte über beknackte Werbung („Eine Veranstaltung mit Stiel“, Internationale Gartenschau 2013), miese Werbung („Erster Schritt“, Commerzbank), gute Werbung, die trotzdem mies ist („Definitely maybe“, Marlboro).

Die Schlechtigkeiten der Welt einfach auszublenden ist noch nie eine gute Idee gewesen.

Und dass sich das gute Leben besser jeder selbst bastelt und dass Rotschimmelkäse nicht dazugehört, das musste auch schon die Frau an der Käsetheke einsehen. AKL