EINGESCHLOSSEN IM FERNSEHTURM-LIFT, NACKT IN DER NACKTBAR, ARM IN BERLIN : Ich kenne Dominikus Müller, du bist der nicht
TIMO FELDHAUS
Ich schnalle mein Jawbone UP ums Handgelenk. Das schwarze elektronische Armband in subtiler Blade-Runner-Optik zählt meine Schritte, überwacht Schlafphasen, weckt mich mit Vibration, wenn es gut für mich ist und checkt den Kalorienhaushalt. Ich kann auch meine Stimmungen in ihm verzeichnen. Es ist Mittwochabend, wir fahren nach Lichtenberg. Wo damals in beheizten Garagen die Volvos der DDR-Minister standen, zeigt der Sammler Axel Haubrok nun minimalistische Kunst. Eine holzvertäfelte Bar, in der Rotkäppchen-Sekt ausgeschenkt wird, begeistert die Besucher. Svarovski-Diamanten fallen einem Mädchen von der iPhone-Hülle, sie steckt sie direkt in ihren freiliegenden Bauchnabel. Morgens, sagt mein Begleiter, habe ich 6,6 Stunden geschlafen, aber nur zwei im Tiefschlaf, ich bin nachts drei Mal aufgewacht und lag 55 Minuten wach im Dunkeln. Dafür bin ich gestern sagenhafte 10 km gelaufen, was mich behände aus dem Bett hüpfen lässt.
Am Freitag Treffen mit der Familie auf dem Fernsehturm. Auf dem Weg nach unten bleibt der Lift stecken. Aus 40 Sekunden Fahrt werden 60 Minuten Eingeschlossenheit, aus einem erhabenen Blick über die Stadt knapp 4 qm, die wir uns mit 12 anderen Menschen eng stehend teilen. Der Liftführer gibt Goldbären rum, niemand darf in Panik geraten. Ich denke an den Namen dieser Kolumne und den Slogan meines Armbands: „Sobald du dich besser kennengelernt hast, gibt es nur einen Weg: Up.“ Irgendwann darf ich an dem Teil des Schachts stehen, wo es den meisten Sauerstoff gibt, irgendwann geht die Tür wieder auf, sie sagen: Frauen und Kinder zuerst. Der Keller des Fernsehturms riecht nach Leben. Als Entschädigung schenken sie uns kleine blaue Tüten. Sie sehen aus, als solle man seinen Müll dort hineinstecken. Darin noch mehr Haribos, ein Prospekt und ein Schlüsselanhänger.
Die Skulpturen serbischer Handprothesen, die Aleksandra Domanovic in der Galerie Tanya Leigthon ausstellt, suggerieren später einen klaustrophobischen Flashback. Dann Johann Königs Außenstelle, die Kirche St. Agnes: Vor 24 Stunden durften wir hier noch die poetische Retrospektive des japanischen Mode-Dekonstruktivisten Yoshi Yamamotho schauen. Heute schwingt im Altarraum ein langes Pendel, das Alicja Kwade an der hohen Decke installiert hat. Am Ende hängt eine fassungslose Glühbirne und treibt große flatternde Schatten an die Wände.
Zum „Flying Barbecue“ wurde ich nicht eingeladen, am Einlass des VIP-Bereichs sage ich den Namen eines Kunstmagazin-Redakteurs und werde sofort durchgelassen. Drinnen mein erstes Tellerchen verspeisend, zupft mich eine schwarz gekleidete Gallerina an der Schulter. Sie würde zwar niemals bezweifeln, dass ich der wäre, der ich vorgebe zu sein, doch draußen möchte mich jemand sprechen. Es wartet ein Mensch mit Liste: „Ich kenne Dominikus Müller, du bist der nicht.“ Ich schaue ich ihm streng in die Augen und sage extra langsam: „Ich bin Dominikus Müller.“ Der Mensch möchte souverän lächeln, stattdessen entfährt ihm: „Ich fühle mich wie in einem David-Lynch-Film.“ Ich lasse mir noch seinen Namen geben und mache kehrt, zurück zum Buffet.
Niemand verfolgt mich.
Drinnen denkt man viel über die grassierende LA-Flucht nach und bespricht die Ausstellung des legendären AA Bronson, der in der Galerie Nature Morte mit einem hinduistischen Priester Bananen verbrannte. Aus der Jacke eines jungen Wiener Künstlers ragt eine blaue Plastiktüte, mir bleibt direkt die Luft weg. Er beruhigt mich, die habe er gerade aus der Naked-Bar „Die Scheune“ mitgenommen. Dort stopfe man all seine Kleider bei Eintritt in die Tüte, nur mit Schuh und Strumpf, in denen die Kippen untergebracht sind, säße man am Tresen und strahle Sex aus. Ich überlege, dass die Berlinische Galerie den KW den Rang als hippste Institution ablaufen, und an die Worte, die Monica Bonvicini in der Galerie Johann König an die Wand malte: „Add Elegance to your Poverty“. Mein Armband brummt, ich gehe ein paar Schritte.