piwik no script img

Archiv-Artikel

Billigstuck im Schlafzimmer

MODERNISIERUNG I Bei Linda Schweizer* würde die Miete nach der Modernisierung die Hälfte des Einkommens verschlingen

Wir waren wie vom Donner gerührt. Gerade war unser Häuserblock an einen amerikanischen Investor verkauft worden, da lag die Modernisierungsankündigung in den Briefkästen. Energetische Sanierung, neue Fenster, neue Wasseranschlüsse, Fahrstühle, das Dach sollte auch ausgebaut werden. Und auf der letzten Seite eine Zahl: Die Miete für meine Zweizimmerwohnung in Berlin-Kreuzberg sollte sich fast verdoppeln.

Unser Fuchteln mit dem Mietspiegel nützte nichts, der gilt bei Modernisierungen nicht. Aber dass wir alle nicht so viel Geld hatten, das nützte schon. Wir lehnten die Modernisierung ab und erklärten, dass wir soziale Härtefälle sind. Daraufhin wurde die Hälfte von uns verklagt. Und Menschen fingen an, auszuziehen. Zuerst die RentnerInnen. Die hatten das Thema Bauarbeiten richtig eingeschätzt. Das Baugerüst steht nun seit drei Jahren vor dem Haus. Es wurden Wände durchbrochen, Decken halb abgerissen, durch das offene Dach lief Wasser in meine Wohnung im vierten Stock und ruinierte die Zimmerdecken mit dem Jugendstilstuck.

In der Nachbarwohnung gab es angeblich Schwamm, plötzlich sperrte die Bauaufsicht die Wohnung. Die Ersatzwohnung, die der kleinen Familie angeboten wurde, war um einiges teurer. Das geht eigentlich nicht, aber meine Nachbarn mussten die Vermieter natürlich erst mal verklagen. Sie zogen also in ein Hotel, für das der Vermieter sich weigerte zu zahlen.

In meine Wohnung kam ein Trupp von Bauarbeitern, der die Decken in Ordnung bringen sollte. Ich zog zu einem Freund. Als ich wieder in die Wohnung kam, stank es bestialisch: Die Bauarbeiter hatten den Kühlschrank ausgestöpselt, sein Inneres war zu einer schwarzen, schleimigen, schimmligen Masse mutiert. Und die Decken? Der Stuck? Weg. Sie hatten die Decken schlicht abgehängt. Das mache man heute so, erklärte der Architekt. Er hielt mir einen Katalog mit billigem Plastikstuck hin: Ich könne mir da ja neuen aussuchen.

Ich lebe allein in meiner 65-Quadratmeter-Wohnung und habe ein Einkommen von 1.200 Euro netto im Monat, meine Warmmiete hätte sich durch die Maßnahmen von derzeit 416 auf unbezahlbare 660 Euro erhöht. Das wären gut 50 Prozent meines Einkommens gewesen. Zu viel, befand auch das Amtsgericht in erster Instanz und lehnte die Erhöhung ab. Doch nun geht der Investor in die zweite Instanz. Ausgang ungewiss: Je höher die Instanz, desto eher sind die Richter selbst Immobilienbesitzer.

*Name geändert